Dortmund. Die AOK Nordwest bietet Grippeschutzimpfungen in Apotheken an. Die Hausärzte sind nicht erfreut. Sie fürchten die Konkurrenz.

So richtig geheuer scheint Irina Schessler der ganze Medienrummel nicht zu sein. Pressefotografen, Kamerateams, Reporter umringen am Freitag die 36-Jährige in der Markt-Apotheke in Dortmund-Aplerbeck. Aber sie stellt sich tapfer in den Mittelpunkt und beantwortet Fragen. Dieses Mal geht es nicht um Corona. Nein, die Dortmunderin bekommt als erster Mensch in Westfalen-Lippe eine Grippeschutzimpfung in einer Apotheke. Sie ist Teil eines Modellversuchs der Krankenkasse AOK Nordwest, an der 700 Apotheken teilnehmen, darunter auch im Kreis Olpe, dem Hochsauerlandkreis und dem Märkischen Kreis. Kritik kommt von den Hausärzten, die ihr Alltagsgeschäft in Gefahr sehen.

Gute Erfahrungen aus dem Ausland

„Unser Ziel ist es, die Impfquote gegen Influenza zu steigern“, berichtet Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Nordwest, der gemeinsam mit Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, auf das „niedrigschwellige Angebot“ setzt. Den Hausärzten, sagen beide unisono, wollen sie keine Konkurrenz machen.

Deutschland am unteren Ende der EU-Skala

Betrachtet man die Gesamtbevölkerung, liegt die Impfquote gegen Grippe in Deutschland mit zehn Prozent am unteren Ende der EU-Skala. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Quote von 75 Prozent, um die Gesundheitssysteme spürbar zu entlasten. In Ländern wie Dänemark, Italien oder Großbritannien können sich Bürger seit Jahren in Apotheken impfen lassen. Die Erfahrungen dort: Impf-Apotheken erreichen Menschen, die sich zuvor nicht dafür entscheiden konnten.

Hausärzte kritisieren den Modellversuch

Der Inhaber der Markt-Apotheke, Michael Beckmann, ist jedenfalls überzeugt von dem Projekt: „Neu ist nur die praktische Anwendung. Wir Apotheker sind von Hausärzten bestens geschult worden.“ Man sei gut vorbereitet.

Die Hausärzte hingegen sind nicht so begeistert. Siegfried Paffe, Hausarzt in Hallenberg, steht dafür stellvertretend. Der 61-jährige Sauerländer findet: „Das ist ein Affront. Wir impfen in unserer Praxis im Quartal bis zu 700 Patienten, wir müssen planen, Impfstoff ordern.“ „Das Ganze“ sei weder „klug noch nachhaltig“. Der Beratungsbedarf in den Arztpraxen rund um die Impfungen sei groß, die Verantwortung ebenso. Für eine ausreichende Beratung seien Apotheker nicht ausgebildet. „Ich will ihnen nichts, aber sie sind mit Sicherheit auch nicht darüber erfreut, dass im Drogeriemarkt die eine oder andere medizinische Salbe verkauft wird.“

Eine blauäugige Idee

Volker Schrage vom Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) hält die Idee, durch das niedrigschwellige Impfangebot in der Apotheke um die Ecke eine höhere Impfquote zu erzielen, für blauäugig: „Wir müssen den Patienten das größtmögliche Maß an Sicherheit, Beratung und Professionalität bieten, um eine noch größere Durchimpfungsquote zu erreichen, und das geht ganz klar nur in den Strukturen der ambulanten ärztlichen Versorgung.“ Es werde Geld in „zusätzliche und aus unserer Sicht unnötige Strukturen investiert“. Laut der KVWL sollen teilnehmende Apotheker 12,71 Euro pro Grippeimpfung bekommen. Hausärzte erhalten für Grippeimpfungen demnach kassenübergreifend 8,05 Euro.

Angebot nur für AOK-Mitglieder

Der Modellversuch, der in mehreren Bundesländern läuft, ist auf drei Jahre angelegt. Bisher gilt das Angebot nur für AOK-Mitglieder. Die AOK hofft aber, dass weitere Kassen hinzustoßen.

Irina Schessler hat sich übrigens zum ersten Mal gegen Grippe impfen lassen. „Ich bin vor kurzem Mutter geworden. Ich kann es mir nicht leisten, krank zu werden“, berichtet die junge Dortmunderin. Das Risiko, dass im Winter Covid- und Grippewelle aufeinandertreffen sei ihr „einfach zu hoch“.

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Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Grippeschutzimpfung im Oktober oder November. Empfohlen wird sie für ältere Menschen, Schwangere, medizinisches Personal und Personen in Einrichtungen mit viel Publikumsverkehr.

In mehreren Interviews, unter anderem im Stern, äußerte sich der Chef der Stiko, Thomas Mertens, zu einer gleichzeitigen Impfung gegen Influenza und Covid-19. Er hält es für unbedenklich. Die Befürchtung, dass der Grippe-Impfstoff in diesem Jahr einen geringeren Schutz bieten könnte, weil sich in der vergangenen Saison weniger Menschen mit Grippe ansteckten und somit Daten fehlten, hält Mertens für unbegründet. Es lägen genügend Daten zu Influenza-Viren aus Laboratorien in aller Welt vor.

Eine Liste der am Modellversuch teilnehmenden Apotheken soll zeitnah auf www.apothekerverband.de veröffentlicht werden.