Schmallenberg.. Auf der Suche nach der Balance: Das in Deutschland einzigartige „Biowild-Projekt“ soll die Diskussion um Wald und Wild versachlichen.
Der Konflikt ist komplex und gleichzeitig emotional: Das Spannungsfeld von Wald und Wild erhitzt die Gemüter von Förstern und Jägern. Im Zentrum steht meist der Verbiss, der die Verjüngung des Waldes beeinträchtigt. Das bundesweite „Biowild-Projekt“ soll nun zur Versachlichung der Diskussionen beitragen. Projektleiter Hans von der Goltz und Dr. Torsten Vor von der Universität Göttingen stellten das bis 2021 geplante Vorhaben gestern Waldbesitzern und Jägern in der Pilotregion „Altenfeld“ zwischen Schmallenberg und Winterberg vor.
„Wir suchen keinen Schuldigen, den wir an den Pranger stellen“, betont von der Goltz. „Vielmehr suchen wir gemeinsam mit Jägern und Waldbesitzern nach Lösungen für einen stabilen Wald.“ Diese meint der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft nur mit Hilfe der Wissenschaft finden zu können. Deshalb begleiten Forscher der Universitäten Göttingen, München und Dresden das mit 1,9 Millionen vom Bundesamt für Naturschutz geförderte Projekt.
Statt die Abschusszahlen auf Grundlage von Wildzählungen, die nur selten exakt geraten, zu bestimmen, erproben die Projektbeteiligten eine andere Herangehensweise. In fünf Projektregionen – neben „Altenfeld“ gehören Waldgebiete in Baden-Württemberg, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen dazu – werden in den nächsten Monaten 10 mal 10 Meter große Weisergatter aufgebaut. Die 2,20 Meter hohen Zäune halten das Wild ab, so dass Pflanzen ungestört wachsen können. In unmittelbarer Nähe der Gatter liegen jeweils ähnliche Flächen, die nicht umzäunt werden. Der Vergleich der Vegetation soll zeigen, ob sich Wald und Wild in Balance befinden.
Fast 28 000 Hektar
„Die Bedingungen sollen möglichst gleich sein, damit wir objektiv messbare Ergebnisse erhalten“, sagte Dr. Torsten Vor. Zweimal pro Jahr wird der Göttinger Wissenschaftler mit seinem Team die Vegetation in den nebeneinander liegenden Flächen aufnehmen. In dieser Größenordnung – die fünf Pilotregionen umfassen insgesamt fast 28 000 Hektar – sei das Projekt einzigartig in Deutschland, sagte Vor.
Während bei der Auftaktveranstaltung in Arnsberg im Dezember vor allem Jäger Kritik geäußert hatten, schienen gestern beim Blick auf das erste aufgestellte Gatter alle harmonisch vereint. „Wir brauchen eine wissenschaftliche Bilanz, um unsere Strategien und Methoden in der Jagd anzupassen. Nach fünf Jahren sehen wir, was richtig und falsch ist“, sagte Jäger Antonius Wegener.
Die Hoffnung auf „belastbare Zahlen“ motiviert auch Franz-Hermann von Fürstenberg. „Denn ich sehe das Problem der Entmischung“, sagte der Waldbesitzer. Überhöhte Schalenwildbestände führten zu einem Monobestand und damit einer Destabilisierung des Waldes, erklärte Hans von der Goltz. „Wir müssen den Wald aber zum Mischwald entwickeln, um ihn robuster gegen Stürme und Trockenperioden zu machen.“
Aus diesen Worten sprach der Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland. In seiner Funktion als Leiter des „Biowild-Projektes“ legte von der Goltz jedoch Wert auf die „Freiheit des Eigentümers“: „Durch unsere Ergebnisse entstehen keine Verpflichtungen für die Waldbesitzer.“