Warstein.. Warsteins langjährige Ortsvorsteherin Elisabeth Wiese kennt die Hauptstraße noch ohne Ampeln und Lastwagen. Nach der Schule steuerte sie damals regelmäßig „Menken Büdeken“ schräg gegenüber der heutigen Warsteiner Stuben an – für Naschereien, von denen die Eltern meist nichts wissen durften.

Es war ein Ritual nach der Schule, das auch heute – rund 50 Jahre später – noch ein Lächeln auf Elisabeth Wieses Gesicht zaubert. Die langjährige Warsteiner Ortsvorsteherin steht an der Hauptstraße, schräg gegenüber der Warsteiner Stuben. Wo sie sich heute über die Hinterlassenschaften von Hunden ärgert, stand früher „Menken Büdeken“.

„Nach der Schule war das für uns wie eine Insel, die wir regelmäßig angesteuert haben“, erzählt Wiese. Für zehn Pfennig gab es Süßigkeiten, auch ein schmales Vanille-Eis am Stiel hat man für eine Groschen bekommen. „So konnten wir unser kleines Taschengeld umsetzen“, erinnert sich die 65-Jährige, „und das haben wir uns auch getraut.“

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Denn am Büdeken sei jeder freundlich behandelt worden, erzählt Wiese. „Die Mitarbeiterinnen hatten Nerven wie Drahtseile.“ Zwei Verkäuferinnen habe sie dort kennen gelernt – Frau Olschewsky aus Belecke und eine Dame, die schräg gegenüber gewohnt habe, etwa auf Höhe des heutigen Spielwarenladens Puppe, an deren Namen sich Elisabeth Wiese heute aber nicht mehr erinnern kann.

Stärkung auf langem Schulweg

Von der Pankratius-Volksschule an der Schulstraße lag das Büdeken für die Warsteinerin und ihre Freundinnen Christel, Angelika und Hildegard auf dem Weg nach Hause. „,Wir geh’n mal eben zum Büdeken’ ist zum geflügelten Wort geworden“, erzählt Elisabeth Wiese. Sie erinnert sich mit einem breiten Lächeln an die spitzen, kleinen Papiertütchen, in denen die Verkäuferinnen die Bonbons einpackten. Später, als im Büdeken auch Ansichtskarten angeboten wurden, änderte sich zwangsläufig auch die Tütenform.

Im Winter war der Fußweg an den Warsteiner Stuben ein Höhepunkt für die vier Mädchen. „Bei Schnee sind wir da auf unseren Tornistern runtergerutscht“, erinnert sich Elisabeth Wiese mit einem Schmunzeln. Kaputt ging dabei nichts. „Nur manchmal war ein Heft nass.“

Auf dem langen Weg nach Hause – einige der Freundinnen liefen täglich von der Volksschule nach Suttrop – kam eine Stärkung am Büdeken gerade recht. „Wir hatten ja mit den längsten Schulweg“, sagt Wiese. Den Verkäuferinnen müssen die Mädchen schon bald ans Herz gewachsen sein, denn manchmal gab es eine kleine Zugabe zu den eigentlich bestellten Leckereien. „Ich erinnere mich etwa an Lutschbonbons, die aussahen wie Haselnüsse“, erzählt sie. Die Besonderheit war die Füllung: „Die war so süß, das würde ich heute meinen Lebtag nicht mehr essen.“ Ganz zum Schluss, Anfang der 1960er Jahre, gab es dann auch die ersten Fruchtgummis. „Aber die waren dann auch schon etwas teurer“, berichtet Wiese. Gelagert wurden die begehrten Köstlichkeiten traditionell in großen Gläsern.

Wenn sich die vier Mädchen mal wieder nicht schnell genug vom Büdeken lösen konnten, mussten sie die verlorene Zeit auf dem weiteren Weg wieder einholen. Denn die Eltern durften oder sollten von den meisten Besuchen nichts erfahren. „Das haben wir schon manchmal verheimlicht“, erzählt Wiese, „wir mussten ja mittags noch den Teller leer essen.“

Das Büdeken sei damals aber auch für ältere Warsteiner ein beliebter Treffpunkt gewesen. „Das war ein Platz, um Neuigkeiten auszutauschen“, sagt Elisabeth Wiese. Erwachsene kauften wahlweise Westfalenpost oder Rundschau und Zigaretten – noch in kleinen Verpackungen mit höchstens fünf Stück –, die Kinder lieber Süßigkeiten. „Viel mehr gab es da auch gar nicht“, unterstreicht Wiese, „aber gerade das machte den Reiz aus.“

Viel mehr Bäume am Straßenrand

Die Hauptstraße gab damals noch ein anderes Bild ab. Die Fahrbahn schmaler, die Bäume standen in Zweierreihen auf dem Gehweg. Mittendrin: das Büdeken. „Alles war viel ruhiger“, erzählt die Warsteinerin, „da gab es keinen Zebrastreifen, keine Ampel.“ Problemlos konnten Elisabeth und die Freundinnen Christel, Angelika und Hildegard die Straße überqueren. „Die paar Lastwagen, die dort entlang fuhren, konnte man zählen, die wurden nicht groß beachtet“, stellt Wiese den Unterschied zur heutigen Situation heraus.

Um das Jahr 1962 herum verschwand das einzige Warsteiner Büdeken aus dem Stadtbild. „Vielleicht lohnte es sich nicht mehr“, mutmaßt Elisabeth Wiese aus heutiger Perspektive, „ganz sicher spielte auch die Umgestaltung der Hauptstraße eine Rolle.“ Damals habe sich an der „Schlagader Warsteins“ immerhin noch ein Lebensmittelgeschäft an das andere gereiht. Elisabeth Wiese schmunzelt noch einmal: „Verhungert sind wir auch danach sicher nicht.“