Meinerzhagen. Annika Gehrke aus Meinerzhagen fertigt in Handarbeit aus Hölzern Schalen und Vasen. Ihre Werke sind gefragt – sogar in San Francisco.

Annika Gehrke ist ein Sturkopf. „Was andere als Beleidigung empfinden, betrachte ich als Kompliment“, sagt die 26-Jährige. Unnachgiebig und eigensinnig verfolgt die Meinerzhagenerin gegen alle Widerstände ihr Ziel, als Künstlerin bzw. Drechslerin Geld zu verdienen. Mit Holz aus der Region, aus dem sie Schalen, Vasen und andere Gefäße herstellt, will sie auch ein Jahrtausend altes Traditionshandwerk hochhalten. Durchaus mit Erfolg: Unter ihrem Lable „The simple form“ verkauft die junge Frau ihre Arbeiten aus dem Märkischen Sauerland direkt in die ganze Welt – nach Berlin und bis nach San Francisco.

Tiefenentspannt an der Maschine

Die Schalen entstehen aus heimischen Hözern.
Die Schalen entstehen aus heimischen Hözern. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

In Lieberhausen, zwischen Meinerzhagen und Gummersbach gelegen, findet man mitten im Grünen auf einer Anhöhe in direkter Nachbarschaft zum Holzheizkraftwerk des Dorfes Annika Gehrkes Zweitatelier. Die 26-Jährige steht konzentriert an ihrer mit einem alten Motor betriebenen Drechselmaschine. Mit einem scharfen Messer schält sie sich tief in ein sich immer schneller drehendes Stück Holz. Sie wirkt tiefenentspannt, drechselt, schleift, ölt. Legt immer wieder liebevoll Hand an. Späne rieseln herab. Die Arbeit mit Holz, erzählt sie, habe ihr Leben bereichert.

Vor zwei Jahren ist Annika Gehrke zufällig zum Drechseln gekommen: Sie sah bewegte Bilder von der alten Handwerkskunst und war sofort davon fasziniert, wie aus Baumstämmen Holzschalen entstehen. 1000 Euro zahlte sie für ihre erste Drechselbank. Noch kann sie davon nicht leben, aber sie freut sich über jedes Unikat, das „bei irgendjemandem Zuhause steht“.

Auftragsarbeiten folgen

Professioneller wurden Annika Gehrkes Werke, als sie ihre ersten Arbeiten auf Instagram präsentiert. Die positive Resonanz ermutigte sie zu Kleinserien. Heute teilt sie ihre Leidenschaft mit 10.000 Followern auf dem sozialen Netzwerk. Die Medienanfragen häufen sich, Auftragsarbeiten folgten. Die Wertschätzung für Produkte, von denen man wisse, woher sie kommen und wer sie gefertigt hat, wachse bei vielen Menschen, sagt sie.

Ohne Schnickschnack

Handarbeit: In 20 Minuten ist aus diesem Stück Holz die Rohform fertig.
Handarbeit: In 20 Minuten ist aus diesem Stück Holz die Rohform fertig. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

„Es kommt darauf an, die Form zurückzunehmen und das Holz in Szene zu setzen, puristisch ohne Schnickschnack“, erklärt die 26-Jährige ihre persönliche Note. Meistens lege sie „einfach drauflos, lasse es drehen“. Nach 20 Minuten zeige die Rohform, was daraus werden könnte. „Zeitlos, elegant, minimalistisch“, so bezeichnet die Sauerländerin ihre Arbeiten, für die sie nur regionale Hölzer wie Walnuss, Esche oder Kirsche verwendet. Sie selbst sei immer wieder fasziniert, was aus eigener Kraft und mit eigenen Händen entstehen könne. „Wer kann sich schon jeden Tag mit Holz umgeben und daraus etwas Neues erfinden?“

Annika Gehrke, die den Minimalismus von Dänischem Design und die Funktionalität des Bauhauses schätzt, liebt an dem Handwerk „die Schlichtheit der Maschine und ihrer Funktion“. Es brauche keine computergesteuerte Fräse, um stilvolle Unikate zu erschaffen. Keine ihrer Arbeiten gleiche der anderen.

Ein Anruf aus Kalifornien

Das gefiel auch Seth Stowaway, Inhaber des Fünf-Sterne-Restaurants „Osito“ in San Francisco. Der Kalifornier wurde im Netz auf die Arbeiten der jungen Frau aus dem Sauerland aufmerksam. „Er suchte etwas Exklusives, Holzschalen, die Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlen“, berichtet Annika Gehrke. 81 Schalen bestellte der Geschäftsmann bei ihr. Darauf serviert er Gerichte wie geschmorter Kohl mit Buttermilch oder Entenroulade mit eingelegter Mandarine und Kakao.

Nachhaltigkeit, betont die Meinerzhagenerin, sei ihr wichtig: Bei den heimischen Hölzern handele es sich oft um Bäume, die Stürmen zum Opfer gefallen sind. „Ich arbeite mit Gartenlandschaftsbauern und Förstern zusammen.“ Holz, das erst durch die „ganze Welt geschifft“ werden müsse, komme nicht infrage.

Präsentation in Düsseldorf

Am 21. und 22. Mai zeigt Annika Gehrke bei der Verbraucher-Messe „New Heritage“ in Düsseldorf ihre neuesten Objekte. Das sei die richtige Adresse: „Für mich sind meine Arbeiten Gebrauchsgegenstände. Sie sollten nicht nur in der Vitrine stehen.“ Zwischen 58 und 300 Euro oder auch mehr kosten ihre Anfertigungen, die sie in ihrem Onlineshop thesimpleform.de anbietet.

Wellenreiten im Atlantik

Ein stilvolles Unikat aus dem Sauerland.
Ein stilvolles Unikat aus dem Sauerland. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Inspiration findet Annika Gehrke bei einem ihren vielen Hobbys, beim Surfen, Wellenreiten im Atlantik, auf dem Motorrad oder wenn sie im umgebauten VW-Bus neue Länder erkundet. Die gebürtige Kölnerin, die bei Ikea Inneneinrichtung und Raumgestaltung gelernt hat, und der Liebe wegen ins Sauerland gezogen ist, hegt weiter ihren Traum: „Ich will voll und ganz vom Drechseln leben.“ Die Autodidaktin kommt als Teilzeitkraft in der Woche so oft es geht in ihr Atelier nach Lieberhausen. Meine Frage, ob man Holzschüsseln in die Spülmaschine stellen darf, lässt die 26-Jährige nicht die Fassung verlieren. „Auf keinen Fall“, antwortet sie gelassen. „Einfach nur mit kaltem Wasser auswaschen reicht.“

Annika Gehrke ist stolz, ihrer Generation das alte Handwerk nahezubringen, „wo immer das möglich ist“. Das lenke von all den Katastrophen dieser Zeit ab. Vor der Zukunft als Drechslerin sei ihr nicht bange: „Wenn ich einmal etwas anfange, dann ziehe ich das auch durch“, sagt sie zum Abschied.

>>> Hintergrund <<<<<<

In Deutschland gibt es nur noch ca. 90 Drechsler, die ihre Werke in Handarbeit herstellen. In 1000 Betrieben werden computergesteuerte Fräsmaschinen eingesetzt.

Die Unesco-Kommission hat 2018 die Aufnahme ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes beschlossen.

Erste Spuren dieser Technik des Drehens zur Bearbeitung von Holz finden sich bereits vor 4500 Jahren in Ägypten.