Geht es eigentlich schnell genug voran mit der A 45? Das ist vor allem eine Frage der Perspektive.
Das Problem sind die zwei Welten. Hier, in der einen Welt, leben die Menschen, die von der Sperrung der Autobahn 45 direkt betroffen sind. Die jeden Tag im Stau stehen, die nachts nicht mehr schlafen können, die keine Ware mehr geliefert bekommen, die ihre frustrierten Mitarbeiter verlieren. Ihnen geht das alles viel zu langsam: Sechs Monate sind ins Land gezogen, und die kaputte Rahmedetalbrücke steht immer noch. Wann die ersten Fahrzeuge über den Neubau fahren werden, ist völlig ungewiss. Wann weitere Bauwerke der Sauerlandlinie ihren Geist aufgeben, ebenso.
500 Kilometer Distanz
Die andere Welt ist rund 500 Kilometer entfernt. Im Bundesverkehrsministerium und im Fernstraßenbundesamt glauben sie wahrscheinlich, sie seien gerade ziemlich schnell unterwegs mit ihren Verfahren zur Genehmigung und Planung der neuen Brücke. Ob das stimmt, wissen wir nicht so genau, denn die Damen und Herren lassen sich nicht gerne in die Karten schauen, verpassen lieber untergeordneten Behörden Maulkörbe.
Vielleicht könnte der Bürger anderenfalls beobachten, dass sie möglicherweise doch nicht „unter Hochdruck“ arbeiten (das ist eine ihrer Lieblingsfloskeln), sondern nach Schema F. Eventuell mit minimal erhöhtem Tempo, aber eben trotzdem nach Schema F.
Also zeigt der eine mit dem Finger auf den anderen, wenn es um die Frage geht, wer denn nun verantwortlich ist und die Probleme lösen muss. Dass ein Fernstraßenbundesamt als Genehmigungsbehörde darauf verweist, die Autobahn GmbH als Ausführungsbehörde möge doch erst mal bitte alle Formulare ausfüllen, bevor man die Frage des Planungsrechts entscheiden könne, dann ist das eben Schema F. Formal richtig, aber eben nicht Hochdruck.
Warum nicht mal etwas gleichzeitig bearbeiten und nicht nacheinander? Das System tötet den Gestaltungswillen, die Kreativität, das positive Querdenken. Instanzen verstecken sich hinter der Bürokratie. Und die Uhr tickt.
Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) wird nicht müde zu behaupten, er habe die Tragweite des Problems erkannt. Die Brücke sei „Chefsache“, hat er gesagt. Dennoch war es ihm bisher nicht möglich, das Drama im Sauerland selbst in Augenschein zu nehmen. Terminprobleme, heißt es. In Siegen bei der Industrie- und Handelskammer hielt er vor ein paar Wochen eine für viele enttäuschende Rede, 30 Minuten zusätzliche Fahrzeit nach Lüdenscheid hätten da eigentlich drin sein müssen. Aber ihm fehlte die positive Botschaft. Politiker brauchen positive Botschaften.
Mit Betroffenen sprechen, das wäre ein Zeichen gewesen. Ist aber unangenehm, weil man auf eine Wand der Kritik stoßen könnte.
Jetzt geht es Wissing fast schon wie – ja, der Vergleich ist übertrieben – Olaf Scholz und seinem Ukraine-Besuch: Den richtigen Zeitpunkt hat er verpasst. Mit dem Brückenbeauftragten hat er einen wunderbaren Blitzableiter gefunden, lösen kann der die Probleme aber nicht. Dass Wissing bei der feierlichen Eröffnung der neuen Brücke in X Jahren noch Verkehrsminister sein wird, ist unwahrscheinlich. Und das liegt nicht an seinem Alter.
Sind das alles unfaire Vorwürfe gegen Politiker und Behörden? Mag sein. Alle in der Region wären aber froh, wenn die Attackierten den Beweis erbringen könnten, dass an der Kritik nichts dran ist.
Eine Frage der Perspektive
In dieser Welt ist die gesperrte A 45 eine abgeklemmte Lebensader, die den Wohlstand einer gesamten Region gefährdet. In der anderen Welt ist sie nur eine von vielen kaputten Autobahnen, 500 Kilometer weit entfernt. In dieser Welt sind fünf Jahre Planungs- und Bauzeit viel zu viel, in der anderen sind sie ein Grund, sich so lange auf die Schultern zu klopfen, bis der Orthopäde kommt. In dieser Welt haben die Menschen Sorgen, in der anderen sorgen sie sich um Paragrafen.
Es ist an der Zeit, schnellstens eine neue Brücke zu bauen – in Lüdenscheid und von dieser Welt in die andere.