Der Modehandelskette Sinn drohte durch Corona-Schließungen die Zahlungsunfähigkeit. Ein Schutzschirmverfahren soll nun das Unternehmen retten.
Die Modehandelskette Sinn sucht angesichts der Umsatzeinbrüche durch die Corona-Pandemie Rettung in einem Schutzschirmverfahren, ähnlich wie bereits Karstadt/Kaufhof oder AppelrathCüpper vor kurzem. Das Amtsgericht Hagen habe ein entsprechendes Insolvenzverfahren in Eigenregie am Montag eröffnet, sagte Firmenchef Friedrich-Wilhelm Göbel. Ein Wirtschaftsprüfer habe bestätigt, dass Sinn zahlungsfähig sei. Das ist Voraussetzung für ein Schutzschirmverfahren. Göbel beziffert die Umsatzausfälle aus den Monaten März und April auf „rund 40 Millionen Euro“. Der Sinn-Chef ist zuversichtlich, die Modehandelskette erneut durch die Krise steuern zu können: „Wir haben das bewusst gemacht. Wir haben einen Plan, und wenn uns jetzt niemand Knüppel zwischen die Beine wirft, haben wir auch eine faire Chance!“
Diese Zuversicht kommunizierte Göbel am Dienstag auch gegenüber den Beschäftigten, den Lieferanten und den Vermietern. Ziel des Schutzschirmverfahrens sei es, grundsätzlich alle Modehäuser weiter zu betreiben und keine Arbeitsplätze abzubauen, sagte Göbel weiter. Sinn hat rund 1400 Mitarbeiter plus rund 200 Aushilfen. Bis März gehörten 23 Filialen zum Unternehmen. Seit März ist eine weitere Filiale in Unna startbereit. Mitte Mai soll ungeachtet des Schutzschirmverfahrens eine weitere Filiale in Essens Innenstadt eröffnet werden, erklärt Göbel.
Ausschlaggebend für den Schritt ins Insolvenzverfahren unter Eigenregie seien die Kreditabsagen von Banken gewesen. Mit vier Finanzinstituten habe Sinn verhandelt, um zur Liquiditätssicherung die von der Politik als Rettungsanker gepriesenen KfW-Darlehen in Anspruch nehmen zu können. Die letzte Absage sei am Montag vergangener Woche gekommen. Allen war das Risiko, mit 20 Prozent in die Haftung zu gehen, offenbar zu groß. Göbel, selbst Banker, hat dafür übrigens Verständnis: „Mir war schon klar, dass die Banken da ein Problem haben.“
Systemversagen der Politik
Sein Groll gilt vielmehr der Politik. Bereits im März hatte Göbel gegenüber der WESTFALENPOST von „Systemversagen“ gesprochen. Das Agieren der Bundesminister für Finanzen wie für Wirtschaft hält der Unternehmenslenker für „lächerlich, eine amateurhafte Performance und verantwortungslos“.
Die Politik habe tagtäglich Risiken neu abzuwägen. Die Schäden durch falsches Handeln, durch zu undifferenziertes Vorgehen bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen, seien immens. „Es gibt keinen Preis für Leben“, stellt Göbel klar. „Aber eine ausgewogene Entscheidung hat die Regierung nicht getroffen“. Die Auswirkungen würden die Wirtschaft in den kommen fünf Jahren massiv belasten. „Wenn die Gastronomen wieder öffnen, ist nicht wieder alles gut. Die Kaskade fängt gerade erst an“, warnt er.
Bis zum Sommer soll der Insolvenzplan stehen
Göbel hat gegenüber anderen Mitbewerbern in ähnlicher Situation einen Vorteil: Er verfügt über wertvolle Erfahrungen, hat die Modehauskette SinnLeffers 2016/17 bereits einmal auf die gleiche Weise vor der Schließung gerettet. Zuvor war SinnLeffers bereits 2008 in der gleichen Situation, als das Unternehmen aus dem Karstadt-Quelle-Konzern herausgelöst wurde.
Sinn-Chef Göbel konnte jetzt als Insolvenzgeschäftsführer (CRO) erneut Thomas Kluth und als Sachwalter Rolf Weidmann gewinnen - beide waren auch bereits 2016 an Bord und kennen Sinn aus dem Effeff.
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Bis zum Sommer soll der Insolvenzplan stehen, dem dann Gericht und Gläubiger zustimmen müssen.
Die Zulieferer können einstweilen durchatmen. Göbel schaffte es nach eigenen Angaben direkt mit Beginn der Insolvenz eine Warenkreditversicherung abzuschließen, so dass gelieferte Ware sicher bezahlt wird – dies sei Mitbewerbern, die schon vor Wochen unter einen Schutzschirm geschlüpft seien, bisher noch immer nicht gelungen.
Mit den Vermietern sei man im Gespräch über die Anpassung von Konditionen. „Auf Basis der Geschäftsprognosen bis 2023 haben wir geplant“, sagt Göbel. Dass die Prognosen mindestens für die kommenden Monate düster sind, ist für Göbel klar. „Entsprechend ist das für die Vermieter eine bittere Pille.“ Am heutigen Dienstagvormittag gab es schon einmal einen Vorgeschmack in den 19 heute wieder geöffneten Häusern: „Wir haben neun Prozent der eigentlich geplanten Umsätze gemacht. Eine Öffnung unter diesen Umständen (800-qm-Regelung/Red.) ist unwirtschaftlich.“ Göbel erwartet deshalb weitere Lockerungen und plant für kommende Woche die Öffnung aller Filialen, bis auf die erst im Mai neu zu eröffnende in Essen.
Besondere Form der Eigenverwaltung
Das deutsche Insolvenzrecht sieht das Schutzschirmverfahren oder auch die Insolvenz in Eigenregie diese besondere Form für Betriebe vor, denen zwar das Geld auszugehen droht, die aber noch nicht zahlungsunfähig sind. Mit dem 2012 eingeführten Schutzschirmverfahren sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung notleidender Unternehmen verbessert werden.
Wesentlicher Unterschied zum regulären Insolvenzverfahren oder zur normalen Eigenverwaltung ist, dass der Sachwalter im Schutzschirmverfahren vom Unternehmen weitgehend frei gewählt wird.