Siegen. Er sitzt nicht mehr an den Schalthebeln der Macht, aber der Siegener Johannes Remmel kämpft nach wie vor für Umwelt- und Verbraucherschutz.

Der Landtagsabgeordnete Johannes Remmel (Grüne) über den Wald, die Fleischindustrie und die Energieversorgung in Südwestfalen.

Frage: Der Wald in NRW leidet unter dem Klimawandel, Stürmen und Schädlingen. Reichen die Gegenmaßnahmen aus?


Johannes Remmel: Ich fürchte, die Landesregierung hat die ganze Dimension noch nicht erfasst. Den Waldbauern wird geholfen, das ist richtig. Aber der Wald hat eine Entwicklungsperspektive von einhundert und mehr Jahren. Wir brauchen einen kompletten Waldumbau. Und davon müssen die Menschen überzeugt werden, die ihr tägliches Brot mit dem Wald verdienen.

Wie soll das gelingen?

Wir müssen das Risiko auf mehrere Schultern verteilen. Deshalb sollten wir auf das Modell des Gemeinschafts- und Genossenschaftswaldes zurückgreifen. Wir brauchen zum Erhalt der Artenvielfalt, zum Gewässer- und Luftschutz, zum Klimaschutz und zur Erholung einen höheren Anteil an Funktionswald. Selbstverständlich dürfen wir aber auch die wirtschaftliche Komponente nicht außer Acht lassen. Das geht nur, wenn wir ökonomisch tragfähige Einheiten bilden. Allein in NRW gibt es über 150.000 Waldbesitzer. Viele von ihnen stehen gerade vor dem Ruin. Ich schlage deshalb ein Aufkaufprogramm vor: Dabei bietet ein Fonds an, Waldbestände zu übernehmen und dann in größeren Einheiten wieder zu verkaufen. Ich weiß: Kurzfristig liegen die Gewinnaussichten wahrscheinlich bei null, aber der Werterhalt an sich ist in Zeiten von Negativzinsen nicht zu verachten. Zudem könnten wir Fehler verhindern. Die Wiederaufforstungsmaßnahmen gehen auch jetzt noch teilweise in die falsche Richtung, weil wieder Monokulturen angelegt werden. Jede Baumart hat ihre Probleme, nicht nur die Fichte, und das wird durch Monokulturen verstärkt. Nur der Dauermischwald kann gegen den Klimawandel bestehen, und er ist langfristig auch wirtschaftlicher. Mit Dauersubventionen lösen wir das Problem nicht.

Holz nicht verbrennen

Jetzt aber liegt viel Borkenkäfer-Holz im Wald herum. Das muss weg.

Ja, das stimmt. Und ich befürchte, dass der Kohleausstieg den Druck erhöht, mehr Holz zu verbrennen. Mir geht es dabei nicht um die kleinen Kaminöfen. Sondern darum, dass Kohle in großem Stil durch Holz ersetzt wird. Die Niederländer und die Dänen machen das mit großen Kraftwerken schon.

Was spricht dagegen, Pellets wurden doch sogar mal gefördert?

Holz ist das Medium – neben den Mooren –, das Kohlenstoff am längsten binden kann. Wir sollten alles dafür tun, damit es nicht verbrannt wird und bei der Verarbeitung eine maximale Speicherzeit anstreben. Für das Klima ist es besser, wenn das Altholz im Wald langsam verrottet, anstatt es in großen Mengen schnell zu verbrennen. Beim Bauen mit Holz sehe ich allerdings noch sehr viel Potenzial; und das ist weitaus klimaschonender als Zement.

Haben Sie denn als Umweltminister in diesem Punkt alles richtig gemacht?

Na ja, die Zerstörungswut des Borkenkäfers konnten wir in der Form nicht erahnen. Hilfestellungen für den Waldumbau sind erarbeitet worden. Aber ich gebe zu: Der große Wurf in der Waldpolitik ist uns nicht gelungen.

Anderes Thema: Haben Sie auch einen Beratervertrag in der Fleischindustrie?

(lacht laut) Ich glaube, solche Unternehmen wie Tönnies würden mich nicht engagieren, weil ich die Abwicklung dieses Geschäftsmodells vorschlage.

Tiere nicht mehr als 30 Kilometer weit transportieren

Woher soll das Fleisch denn kommen?

Wir müssen nicht nur wegen Corona dringend über die Strukturen der industriellen Ernährung und der Landwirtschaft nachdenken. Jetzt sind sie nicht widerstandsfähig, sondern zu sehr auf Effizienz ausgerichtet. Warum müssen Tiere mehr als 30 Kilometer weit transportiert werden? Für die Versorgung der Menschen wichtige Strukturen müssen entweder genossenschaftlich oder regional betrieben werden. In Frankreich funktioniert das doch auch: Dort gibt es viele lokale Bäcker, weil ein Gesetz vorschreibt, dass der Teig dort verbacken werden muss, wo er hergestellt wird.

Dann werden Lebensmittel aber teurer.

Mag sein. Aber ich halte es für einen Skandal, ein Kilo Schweinefleisch für 3,33 Euro anzubieten. Das geht zulasten der Tiere und der Menschen. Vor 20 Jahren haben die Menschen 20 Prozent ihres Einkommens für die Ernährung ausgegeben, jetzt sind es nur noch elf Prozent. Bei den Eiern hat es doch auch funktioniert: Die Käfighaltung ist aus den Regalen verschwunden, jetzt muss sie nur noch aus den verarbeiteten Produkten raus. Deshalb fordern wir schon lange eine Kennzeichnungspflicht. Dann liegt die Entscheidung beim Verbraucher.

Bedauern Sie, dass es keine Diesel-Fahrverbote in NRW gibt?

Im Gegenteil. Fahrverbote sind doch kein Selbstzweck. Sondern eine Notlösung, weil die Autokonzerne betrogen haben und weil die gesetzlichen Vorgaben aus Brüssel nicht eingehalten wurden. Ich bin kein Freund von Fahrverboten. Die Motortechnik muss besser werden, und wir müssen endlich klimafreundlich mobil sein.

Beim Klimaschutz Zahn zulegen

Es gibt Forderungen, wegen der Corona-Krise den Klimaschutz zu bremsen.

Das ist grundfalsch. Wir müssen eher einen Zahn zulegen. Der Klimaschutz ist eine Jahrhundert-Herausforderung. Wir haben bei Corona im Auge des Hurrikans in sehr kurzer Zeit ein gutes Krisenmanagement auf die Beine gestellt und neue gesetzliche Grundlagen geschaffen. Warum soll das nicht auch beim Klimaschutz gelingen.

Ist Südwestfalen bei der Energieversorgung gut aufgestellt?

Nein, wir brauchen eine eigene widerstandsfähige regionale Energieversorgung. Damit meine ich nicht nur mehr Strom aus Wind und Sonne. Vielmehr müssen wir eigene Gaskraftwerke bauen, die am Ende auch mit synthetischem erneuerbarem Gas betrieben werden können, um Wärme und Strom zu erzeugen. Sie könnten auch als Backup dienen, für den Fall, dass die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Eine solche Lösung hätte man im Rahmen des Kohleausstiegs mitverhandeln müssen. Ohne eigene Produktion machen wir uns abhängig von der Stromproduktion an der Nordsee und holen auch keine Jobs nach Südwestfalen.