Attendorn. Die Autos und Menschen, die bei der Oldtimer-Rallye durchs Sauerland starten, haben ihre eigenen Geschichten über Geld, Liebe und Erinnerungen.
Die Attendorner Innenstadt ist nun nicht gerade für Schifffahrt bekannt. Viel zu eng sind die kleinen Gassen rund um den Marktplatz. Als nachteilig erweist sich auch, dass es gar kein Wasser gibt, auf dem ein ausladender Tanker heranschippern könnte. Aber da kommt doch was Großes. Man hört es, bevor man es sieht. Um die Ecke biegt: Ein Bentley, Baujahr 1931, Acht-Liter-Motor. Wert: rund eine Million Euro.
Claus Heinrich sitzt am Steuer, die Finger in hellbraune Lederhandschuhe gesteckt. Wenn er den Motor anlässt, zittert sich das altehrwürdige Kopfsteinpflaster den Mörtel aus den Fugen. Scheinwerfer groß wie Medizinbälle, das Aluminium glänzt. Kopfstützen? Kopf…was? Die Zeit steht kurz still. Mehr noch: Kalenderblätter fliegen in Windeseile zurück an die Wand. Humphrey Bogart bestellt sich nebenan im sonnenbeschienen Café noch einen Chai Latte.
Aus der Schweiz ins Sauerland
Technische Abnahme nennt sich das Prozedere am Mittwoch, einen Tag vor dem Start der Sauerland-Klassik, einer Oldtimer-Rallye durch Südwestfalen. Drei Tage, fünf Etappen, 670 Kilometer. Minutiös geplant und für Autofreunde prächtig besetzt. Kraftfahrschätze aus den unterschiedlichsten Epochen sind ins Sauerland gekommen. 133 Autos, von Baujahr 1928 bis 1995.
Die Fahrzeugpapiere, bitte. Blinker? Geht. Warndreieck? Vorhanden. Gute Fahrt. Vorwärts in die Vergangenheit. Jeder startet seine eigene Zeitreise.
Verena und Hans-Peter Blandow holen sich den Beginn ihrer Liebe ein bisschen zurück. Aus der Schweiz vom Zürichsee sind sie angereist, anderthalb Tage lang. Mit dabei: ihr Renault R5 Alpine Turbo von 1982. Das Ehepaar ist seit 37 Jahren verheiratet. Im vergangenen Jahr machten in einer Ente eine Reise durch Nordeuropa. „Da hatten wir viel Zeit zu plaudern“, sagt sie. „In einer Ente können Sie nicht fliehen“, sagt er und zwinkert fröhlich.
Fahren und reden
Die beiden fuhren damals und redeten. Und fuhren und redeten. Sie sagte, dass sie gern nochmal so ein Auto hätte wie damals, als sie einmal halb um den Zürichsee fahren musste, um ihn zu sehen. Einfach so sagte sie das. Er besorgte das Auto in der Nachbargemeinde. „Dass du solche Sachen auch immer gleich in die Tat umsetzen musst“, sagt sie nun. Sie sitzen nebeneinander in ihrem Renault, der ein wenig quietscht, wenn er vorbeirollt. Ob er die Strapazen im Sauerland durchhält, wissen die Schweizer noch nicht. Sie zucken mit den Schultern. Mal sehen. Wär‘ dann auch nicht so schlimm. Kann ja nicht alles so zuverlässig sein wie ihre Liebe.
Nicht nur aus der Schweiz reisen die Teilnehmer an, auch aus Tschechien, Italien und Großbritannien. Ein Beifahrer fliegt sich sogar extra aus Kanada ein. Ebenso bunt: Die Automarken. Ein türkisfarbener Chevrolet ist dabei, dessen Innenraum etwa so groß ist wie ein handelsübliches Wohnzimmer. Ansonsten: Alfa Romeo, Saab, Volvo, Lancia, Ferrari, Rolls Royce. Ein Käfer mit Weißwandreifen und Sechs-Volt-Stromversorgung. Wenn man zum Licht auch die Scheibenwischer anschaltet, kann das Radio schon mal in die Knie gehen.
Bentley kommt aus Kanada
Ein Radio hat Claus Heinrich nicht. Dafür fährt sein Bentley-Ungetüm zwei Reserveräder durch die Gegend. Drei Tonnen wiegt das Monstrum, das Ruß röchelt. Es riecht nach Benzin. 100 Exemplare des Tourers wurden überhaupt nur gebaut, 70 gibt es weltweit noch. Heinrich, 70 Jahre alt, kommt aus Stade, hat seine Reederei verkauft und sein Geld auch in Autos angelegt. Vor 15 Jahren kaufte er den Bentley in Kanada. „Sich einen Picasso aufzuhängen und den anzuschauen, erscheint mir nicht so sinnvoll“, sagt er. Egal, wo er mit dem Auto hinkomme, sagt er, die Leute würden sich freuen und lächeln. Umweltaktivisten werden das nicht unbedingt sein, aber das ist eine völlig andere Geschichte.
„Es gibt Leute, die geben viel Geld aus für einen Oldtimer und wissen nichts über ihr Auto“, sagt Boris Lahrkamp, während er vor seinem Mercedes-Benz 220 SE von 1963 steht. „Ich kenne alles an diesem Auto.“ Quasi in Einzelteilen kaufte er das Auto. „Der Vorbesitzer hat es auseinandergebaut, aber nicht mehr zusammengesetzt bekommen“, sagt Lahrkamp. Das Auto sollte bei besonderen Anlässen zum Einsatz kommen: Hochzeit, Kommunion der Kinder. Alles nicht geklappt. Steffi, seine Frau, lacht. „Erst zur Hochzeit meines Bruders vor zwei Jahren war das Auto fertig.“ Rund zehn Jahre des Schraubens und Tüftelns. „Wir würden ihn nie verkaufen“, sagt Boris Lahrkamp über das Auto, das für die Besitzer ein langgehegter Traum ist.
Alfred Hamers ist da anders. Seinen 190 SL von Mercedes stellt der Attendorner bei der Sauerland-Klassik gewissermaßen ins Schaufenster. Er will verkaufen, denn er hat ja noch einen. 130.000 Euro. „Festpreis“, sagt er und lacht. Gegenüber dem Bentley ein Schnäppchen.