Menden/Minsk. Maria Kolesnikowa ist das Gesicht des Protests gegen Diktator Lukaschenko. Sie war schon oft im Sauerland bei Rüdiger Midasch. Wie es dazu kam.
Die Welt schaut auf Belarus, auf das Schicksal von Maria Kolesnikowa, die offensichtlich in einem Gefängnis im Staat des Diktators Alexander Lukaschenko sitzt, gegen den sie mit Hunderttausenden anderen aufbegehrt. Doch Rüdiger Midasch aus Menden im Sauerland schaut auf Maria Kolesnikowa nicht nur als Ikone der weißrussischen Oppositionsbewegung, die mit ihrem fröhlichen und konsequenten Kampf für die Freiheit die Massen mobilisiert, sondern auf eine langjährige Freundin.
Seit mehr als 15 Jahre kennen sich die beiden. Er war er es auch, der die heute 38-Jährige erstmals nach Deutschland eingeladen hatte, wo sie bei Rüdiger Midasch und seiner Familie gewohnt hat. Voller Spannung und auch mit viel Respekt blickt er nun auf Maria Kolesnikowa: „Aber natürlich habe ich auch große Angst um sie.“
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Es ist rund 15 Jahre her, dass Rüdiger Midasch, der lange Jahre Integrationsbeauftragter der Stadt Menden war, zum ersten Mal nach Weißrussland reist, dem Land also, das heute überwiegend Belarus genannt wird. Über Freunde, die er dort besucht, lernt er die Familie von Maria Kolesnikowa kennen. Es entwickelt sich eine enge Freundschaft. Im Jahr 2008 ist der heute 63-Jährige erneut zu Besuch bei der Familie, er wohnt bei ihr: „Das war eine unglaublich bereichernde Zeit für mich. Ich habe viele intensive Gespräche mir der Familie geführt. Gerade auch mit dem Vater. Und natürlich mit Maria.“
Dass sie nun in der dortigen Oppositionsbewegung so konsequent streitet, kommt für Rüdiger Midasch nicht überraschend: „Freiheit und Selbstbestimmung, das waren für sie schon damals große Themen.“ Sicherlich sei von ihrem Vater dieses Denken übergesprungen.
Flötenspiel zum 50. Geburtstag
Deutschland hat Maria Kolesnikowa sehr geprägt. In den vergangenen Jahren hat die Flötistin in Stuttgart gelebt und gearbeitet, bevor sie nach Belarus zurückgekehrt ist – eigentlich, um dort ein Kulturprojekt zu unterstützen. Heute spricht sie fließend Deutsch, ganz anders als bei ihrem ersten Besuch in Deutschland, der sie nach Menden führte. „Damals haben wir noch Englisch miteinander gesprochen. Sie hat bei uns gewohnt“, sagt Rüdiger Midasch. Und auch zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 2007 ist sie zu Gast, spielt ihm sogar ein Geburtstagsständchen auf der Querflöte – der Mendener hält dabei die Noten. Ein Bild, das er in Ehren hält. Mit ihrem Flötenensemble Syrinx gibt die junge Musikerin Konzerte, unter anderem in der Vincenzkirche in Menden. Man besucht sich immer wieder gegenseitig, auch in Stuttgart, wo ein Bild entsteht, das Maria Kolesnikowa so zeigt, wie sie heute weltweit bekannt ist: Mit kurzen blonden Haaren und entwaffnendem Lächeln.
„Ich bin überzeugt, dass es genau diese fröhliche Art ist, die die Menschen mitreißt“, sagt Rüdiger Midasch. „Es gab ja auch schon früher Proteste gegen Lukaschenko, die aber immer wieder abgeebbt sind. Jetzt ist Maria da, die für die Freiheit eintritt, die aber lacht und fröhlich ist. Die mit ihren Fingern ein Herz formt. Sie hat den Menschen die Angst genommen, auf die Straße zu gehen.“
Schon bevor die Proteste bei uns in Deutschland wahrgenommen wurden, hatte Rüdiger Midasch mit Maria Kolesnikowa intensiven Kontakt, er wusste, dass sie sich engagiert. Spätestens, nachdem der Oppositionspolitiker Wiktar Babaryka vor der Präsidentschaftswahl verhaftet wurde und die 38-Jährige an seiner Stelle in den Wahlkampf zog.
Aber Maria Kolesnikowa sei nicht mit dem Plan nach Minsk zurückgekehrt, die Opposition anzuführen, um zur Ikone zu werden. „Sie ist durch ihre Art zum Bild dieser Protestbewegung geworden“, sagt Rüdiger Midasch. „Aber sie hat das nicht gezielt gemacht. Sie ist ganz klar ein politischer Kopf, aber kein bisschen ideologisch. Maria ist da rein gewachsen, vor so vielen Menschen zu sprechen. Ihr geht es um Freiheit und Selbstbestimmung.“ Dass sie am Montag nicht selbst Belarus verlassen wollte, sondern offensichtlich erfolglos versucht wurde, sie in die Ukraine abzuschieben, überrascht den Mendener nicht: „Ich wusste, dass sie niemals freiwillig gehen würde.“
Regelmäßig Kontakt zu Schwester und Eltern
Nun sitzt sie offenbar in der belarussischen Hauptstadt Minsk in einem Gefängnis. Rüdiger Midasch ist in regelmäßigem Kontakt mit den Eltern, mit der Schwester von Maria Kolesnikowa und anderen weißrussischen Freunden. „Ich lege derzeit das Handy kaum aus der Hand.“
Und er spricht öffentlich über seine Freundin Maria Kolesnikowa, um auch in Deutschland noch mehr Aufmerksamkeit für sie und die weißrussische Oppositionsbewegung zu erreichen: „Es muss mehr Druck kommen. Denn was in Belarus passiert, das kann man nicht getrennt von der Situation in Russland sehen, von dem Giftanschlag auf Alexander Nawalny, von der Politik Putins.“ Der Westen müsse klar für die Werte eintreten, für die er auch stehen wolle: für Freiheit und Demokratie.
HINTERGRUND: Viele internationale Kontakte
- Rüdiger Midasch war bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2016 30 Jahre im Dienst des Sozialamts der Stadt Menden. Als Integrationsbeauftragter hat er sich über Jahre um zugewanderte und geflüchtete Menschen gekümmert. Aber auch als Privatmensch pflegt der Vater zweier erwachsener Kinder viele internationale Kontakte und Freundschaften.
- Belarus mit seinen rund 9 Millionen Einwohnern hat er schon mehrfach besucht. Dort gebe es schon lange eine Unzufriedenheit mit dem seit 26 Jahren diktatorisch regierenden Alkexander Lukaschenkow.