Lüdenscheid. Die A45 bleibt noch für Monate gesperrt. Lkw werden dort erst in einigen Jahren fahren können. Die Brückensperrung schockiert eine ganze Region.
Die „Königin der Autobahnen“, die sich so majestätisch durch Sauer- und Siegerland schlängelt, erlebt derzeit ihre schwersten Stunden. Über die derzeitige Talbrücke Rahmede an der A 45 zwischen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid werden nie wieder Lkw rollen können, Pkw werden das Bauwerk erst in frühestens drei Monaten wieder passieren. Die langwierige Brückensperrung schockiert eine ganze Region. Das sagt...
… der Anwohner:
Michael Backhaus (70) wohnt genau da in Lüdenscheid, wo sich derzeit täglich Tausende Fahrzeuge entlangquetschen. Vom Wohnzimmerfenster aus kann er das Chaos beobachten, das sich stets neu ereignet. Tröstet ihn die neue Perspektive? „Das Problem ist: Die Pkw sind nicht die, die uns hier stören, es sind die Lkw. Morgens um vier fahren die ersten und dann reiht sich einer an den anderen. Das ist hart an der Grenze zum Unerträglichen.“ Bis 2029 sollte die Brücke ohnehin neu gebaut sein. „Wenn sie bis dahin fertig ist, können wir uns glücklich schätzen“, fürchtet er.
Er wohnt gern in Lüdenscheid, „aber im Moment ist das nicht schön“. Zumal weitere Baustellen im Stadtgebiet alltägliche Fahrten zum Erliegen bringen. „Wir werden das aushalten müssen. Es gibt keinen anderen Weg. Freuen wir uns eben auf die Sonntage.“ Da gilt Lkw-Fahrverbot.
… der Bürgermeister:
Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer zufolge war das Ergebnis der Brückenprüfung durch Statik-Experten „leider zu erwarten“. Und doch: „Für Lüdenscheid und die Umgebung ist das eine Katastrophe.“ Am Abend forderte er Unterstützung „von den zuständigen Behörden und dem Land“ ein, um eine schnelle Lösung für „Pendler, Anwohner und Unternehmen umzusetzen“.
… der Spediteur:
Die erste Reaktion auf die neue Lage ist ein zynisches Lachen. „Das nimmt Leverkusener Verhältnisse an“, sagt Robin Schmidt, Speditionsleiter bei der Spedition Steffes in Hagen. Das NRW-weit bekannte Verkehrs-Nadelöhr am Rhein hat nun ein Pendant im Sauerland. „Wir sind Einschränkungen durch Baustellen leider gewöhnt, aber das ist eine andere Dimension. Das schlägt extrem aufs Gemüt“, sagt Schmidt.
Zu den Hauptverkehrszeiten bräuchten seine Leute anderthalb bis zweieinhalb Stunden mehr pro Tour. Pkw-Fahrer haben die Perspektive, im Frühjahr wieder über die Brücke fahren zu können. Für Lkw scheint der Weg frühestens dann frei, wenn die Brücke neu gebaut ist. Heißt: Gerechnet wird in Jahren: „Das ist richtig mies.“
... die Wirtschaft:
Schockiert über die neueste Entwicklung zeigt sich auch der Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) zu Hagen, Ralf Geruschkat: „Es ist ein schwerer Schlag ins Kontor des Wirtschaftsstandortes Märkisches Südwestfalen.“ Die Sauerlandlinie sei die „Lebensader“ für zahlreiche Unternehmen in der Region und deren Wertschöpfungsnetz, so Geruschkat weiter, und eine „Verkehrsader von nationaler Bedeutung“. Nach seinen Worten bedürfe es jetzt eines Kraftakts: Die verschiedenen Zuständigkeiten für Infrastrukturen wie Bundes- und Landesverkehrsministerium, Autobahn GmbH, Straßen NRW und Kommunen müssten schnellstens an einen Tisch, um Möglichkeiten auszuloten, den „drohenden Verkehrsinfarkt in der stärksten Industrienation von NRW“ zu verhindern. Geruschkat: „Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich schneller werden. Es ist jetzt Zeit für unkonventionelle Wege.“
... die Politik:
„Warum müssen Planungs- und Bauphasen eigentlich sechs bis acht Jahre lang dauern?“, fragt der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Remmel, ehemaliger NRW-Umweltminister. „In Genua ging es ja auch schneller.“ In der Tat fordern nun Politiker aller Couleur, dass Planung und Umsetzung von Autobahnprojekten zügiger vonstatten gehen müssen. Florian Müller, neuer CDU-Bundestagsabgeordneter für den Raum Olpe, sagt, die große Koalition habe bereits ein beschleunigtes Planungsverfahren auf den Weg gebracht, die neue Regierung müsse es nun für diesen Fall anpassen. Sonst könne sich die Sperrung der A 45 zu einer Konjunkturbremse für Südwestfalen entwickeln.
FDP-Kollege Carl-Julius Cronenberg betonte, die neue Regierung strebe eine Halbierung der Planungszeit an. Das wären dann aber immer noch drei bis fünf Jahre. „Fürchterlich“, so Cronenberg.
… die Feuerwehr:
Das hohe Verkehrsaufkommen stellt auch die Lüdenscheider Feuerwehr vor Herausforderungen: „Auf unseren Straßen herrscht jetzt permanent Rush Hour“, sagt Abteilungsleiter Jörg Weber. Je dichter der Verkehr, umso schwieriger ist es selbst für Sonderrechtsfahrzeuge, sich auf schmalen Fahrbahnen an Wagenschlangen vorbei zu bewegen. Aber: „Es ist noch nicht vorgekommen, dass unsere Fahrzeuge mit vernehmbarer Verzögerung zu Einsätzen gekommen wären.“
Jedoch haben Feuerwehrleute derzeit Not, mit ihrem Privat-Pkw „zeitgerecht“ zur Feuerwache zu kommen. „Aus diesem Grund ist unser Gerätehaus Mitte jetzt täglich von 6 bis 18 Uhr mit sechs ehrenamtlichen Feuerwehrleuten permanent besetzt.“