Siegen/Hagen/Brilon. Geschäfte in der Corona-Krise vor dem Aus: NRW-Regierung will die Sonntagsruhe lockern. Die katholische Kirche ist einverstanden, Verdi kämpft.

Die für Handel zuständige Gewerkschaft Verdi will auch gegen die verkaufsoffenen Sonntage vor Gericht gehen, die wegen der Corona-Pandemie unter neuen Bedingungen stattfinde sollen. In Brilon hat diese Ankündigung bereits Wirkung gezeigt. Dort wurde der geplante verkaufsoffene Sonntag abgesagt.

Es werde Klagen gegen die Kommunen aus der Region geben, betont Jürgen Weiskirch, Geschäftsführer von Verdi-Südwestfalen, sollten sie auf Grundlage eines Erlasses der NRW-Landesregierung verkaufsoffene Sonntage ohne Anlass veranstalten.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bekräftigt die Sonntagsruhe

Der Streit zwischen Gewerkschaft auf der einen sowie Politik und Einzelhandel auf der anderen Seite um die Sonntagsöffnungen schwelt schon jahrelang. Bislang ging es aber meist um die Frage: Ist der Anlass, zu dem die Sonntagsöffnungen stattfinden, tatsächlich so wichtig und publikumswirksam, dass nicht die Geschäftsöffnung im Mittelpunkt steht. Neu ist nun aber: In der Corona-Krise möchte die Landesregierung auch anlasslose Sonntagsöffnungen erlauben – und zwar bis zu vier Stück pro Kommune. Denn da bis mindestens 31. Oktober Großveranstaltungen in NRW verboten sind, können Stadt- und Volksfeste nicht stattfinden.

Doch die Gewerkschaft Verdi hält weiter ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für entscheidend. Das hatte erst am 22. Juni bestätigt hat, dass bei verkaufsoffenen Sonntagen die parallel laufenden Veranstaltungen für den Tag prägend sein müssen, nicht die Ladenöffnungen. Die Richter gaben damit der Gewerkschaft Verdi Recht, die zuvor gegen eine Sonntagsöffnung in Mönchengladbach im vergangenen Jahr geklagt hatte.

Verkaufsoffene Sonntage: Verdi wirft NRW-Wirtschaftsminister Rechtsbruch vor

Mit ihrem neuen Erlass möchte die Landesregierung dagegen dem durch die Corona-Krise geschwächten Einzelhandel helfen. Doch mit ihrem neuen Vorstoß zieht sie weiteren Ärger der Gewerkschaft auf sich: Dem NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) wirft Jürgen Weiskirch einen Rechtsbruch vor: „Minister Pinkwart ist mit seinem Vorschlag in einer Schieflage“, sagt der Geschäftsführer von Verdi-Südwestfalen. Weiter als Pinkwart geht der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner: In einem Interview mit der Funke-Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört, regt er sogar zwölf Sonntagsöffnungen pro Jahr an.

Doch dafür brauchen die Kommunen Rechtssicherheit: Mit dem Veto der Gewerkschaft Verdi ist die nicht gegeben. Bevor Sonntagsöffnungen beschlossen werden können, sind die jeweiligen Stadt- und Gemeinderäte gesetzlich verpflichtet, örtliche Verbände wie Gewerkschaften, Einzelhandelsverbände und Kirchen anzuhören.

Kirchen in NRW sind sich wegen Sonntagsöffnungen uneins

Das Besondere diesmal: Die katholische Kirche, sonst ein Partner Verdis im Kampf um die Sonntagsruhe, wolle sich den verkaufsoffenen Sonntagen wegen der Corona-Krise nicht verweigern, sagt Pfarrer Dr. Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros NRW. Das sei jedoch eine einmalige Position und nicht als Vorentscheidung für die Zukunft zu verstehen. Die Katholische Kirche NRW reagiere damit auf die schwierige Lage des Einzelhandels.

Die Evangelische Kirche von Westfalen hingegen bekräftigte auf Anfrage die Sonntagsruhe. „Auch und gerade in der aktuellen Situation erfüllen die Sonntage den Zweck einer Unterbrechung des Alltags“, sagt Sprecher Andreas Duderstedt.

Bad Berleburg, Werl und Schwerte planen verkaufsoffenen Sonntag für September

Der wirtschaftliche Druck bringt auch den Einzelhandelsverband Südwestfalen dazu, offensiv für die neue Sonntagsregelung zu werben: Viele Geschäfte hätten durch Corona „enorme Umsatzeinbuße“ erlitten, sagt Geschäftsführer Klaus Willmers. „Sondermaßnahmen wie verkaufsoffene Sonntage sind für manche Betriebe lebensnotwendig, sonst drohen Insolvenzen“, verdeutlicht er. In den vergangenen Wochen habe der Interessensverband verstärkt Beratungsanfragen von Kommunen bekommen, die verkaufsoffene Sonntage ab September planen, sagt er. Darunter Bad Berleburg, Werl und Schwerte.

Doch er habe Sorge, dass die Gewerkschaft solche Aktionen torpedieren könne: „Verdi ist ein Bremsklotz.“ Der Sonntagsdienst könne ihm zufolge durch zusätzliche Freizeit ausgeglichen werden, und Arbeitnehmer, die zum Beispiel in Kurzarbeit waren, könnten extra verdienen.

Dagegen fürchtet Verdi-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Weiskirch um den Schutz der Sonntagsruhe und zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer. Die Haltung der Gewerkschaft habe sich auch in der Corona-Pandemie nicht verändert. Er sagt, für Politik und Wirtschaft sei der Sonntag ein weiterer lukrativer Verkaufstag.