Hagen. 30 Jahre war das Wandmosaik von Carl Baumann im Theater Hagen hinter einer Leichtbauwand verborgen. Niemand wusste, wie groß es wirklich ist.
Nicht weniger als 100.000 Mosaiksteinchen füllen die gigantische Wandfläche mit ihren 11 Metern Länge im Foyer des Theaters Hagen. Die meisten der winzigen Kacheln sind schwarz, tiefschwarz. Aus diesem Abgrund schwebt an der rechten Seite ein farbenprächtiger Paradiesvogel wie ein Phönix aus der Asche empor. Die Botschaft des Wandmosaiks aus dem Jahr 1962 von Carl Baumann ist leicht zu übersetzen: Aus den Trümmern der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs erhebt sich die Kultur auf bunten Schwingen. Fast 30 Jahre lang war Carl Baumanns monumentales Kunstwerk hinter einer Leichtbauwand versteckt. Jetzt ist es wieder freigelegt.
Der Unbekannte aus Hagen unter den großen Künstlern Westfalens
Der Hagener Bildhauer Carl Baumann gehört zu den großen westfälischen Künstlern der Gegenwart. Im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kultur in Münster hängt in der Dauerausstellung sein bekanntestes Bild, die „Rote Kapelle“. Es zeigt den Künstler mit seinen Freunden von der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, von links: Harry Schulze-Boysen, Offizier, von den Nazis erhängt am 22. Dezember 1942, Walter Küchenmeister, Dreher und Redakteur, enthauptet am 13. Mai 1943, Kurt Schumacher, Bildhauer, erhängt am 22. Dezember 1942. Ganz rechts hat sich der Maler ins Bild gesetzt, der überlebt, allerdings wegen seiner verdächtigen Kontakte fünf Monate in Gestapohaft verbringen muss und danach an die Ostfront geschickt wird.
Carl Baumann wird als Sohn eines Malermeisters am 5. November 1912 in Hagen geboren und beginnt mit 14 Jahren eine Malerlehre, um später den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Doch ein Berufsschullehrer erkennt sein Talent, und so kann Baumann ab 1931 an der Kölner Werkkunstschule Sgraffito, Schrift- und Aktzeichnen sowie Glas- und Wandmalerei bei dem berühmten Johan Thorn-Prikker studieren. Bereits 1932 fertigt er für die Berufsschule in Hagen-Haspe ein Fresko von 18 Metern Länge und 4,50 Metern Breite.
Meisterschüler in Berlin
Nach Wanderjahren wird er von 1936 bis 1941 Meisterschüler an der Berliner Akademie der Bildenden Künste bei Bildhauer Prof. Ludwig Gies, dem späteren Schöpfer des Bundesadlers im Plenarsaal. Als Student erlebt Baumann die Gleichschaltung der Kunsthochschule. Er lernt Künstlerfreunde kennen, die aus unterschiedlichen Motivationen Widerstand gegen die Nazis leisten, darunter den Bildhauer Fritz Cremer aus Arnsberg.
1947 kehrt Baumann in seine Heimatstadt Hagen zurück, wo er bis zu seinem Tod am 7. Juli 1996 als freier Maler und Bildhauer wirkt und mit seinen Arbeiten im öffentlichen Raum das Gesicht der jungen Bundesrepublik mitgestaltet. „1950 wurde bundesweit das Kunst-am-Bau-Programm aufgelegt“, erläutert Dr. Birgit Schulte, stellvertretende Leiterin des Osthaus-Museums Hagen. „Man wollte die Republik nicht nur utilitaristisch wieder aufbauen, sondern auch künstlerisch. Dazu waren die Kommunen als öffentliche Bauträger verpflichtet.“
Wandarbeiten und Mosaike in Meschede, Bestwig und Winterberg
Der Bildhauer ist hoch angesehen. Nicht nur das Stadtbild seiner Heimatstadt prägt er bis heute mit Fassadenmalereien, Sgraffitos, Mosaiken und Edelstahlplastiken; vor allem für die Deutsche Post schafft er zahlreiche Werke, darunter für die Postämter in Hagen, Frankfurt, Meschede, Bestwig und Winterberg. Das heutige Schicksal dieser Kunst am Bau ist häufig unbekannt. 1964 entsteht ein abstraktes Glasmosaik für das Fernmeldehochhaus in Meschede, damit will Baumann das Wesen der Fernmeldetechnik in ein künstlerisches Gleichnis übersetzen, hat die Hagener Kunsthistorikerin Petra Holtmann recherchiert.
„Carl Baumann hat es als seine genuine Aufgabe betrachtet, Kunst am Bau zu schaffen“, erläutert Birgit Schulte. „Er hat sich nie als Künstlergenius betrachtet, sondern als Kunstmaler. Diese Auffassung ist von seinem Lehrer Thorn-Prikker beeinflusst und geht auf den Bauhaus-Gedanken zurück, dass der Bau das Ziel aller Kunst ist.“
Fenster in der Lukaskirche Bochum
Zu den bekannten Arbeiten Carl Baumanns in der Region gehören die Fenster der ev. Lukaskirche in Bochum und das Tränenkreuz auf dem Friedhof Loxbaum in Hagen. Im Landesmuseum Münster zieht die „Rote Kapelle“ immer wieder alle Blicke auf sich. Der Schriftsteller Peter Weiss hat der Roten Kapelle mit seinem Buch „Die Ästhetik des Widerstands“ übrigens ein literarisches Denkmal gesetzt.
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