Hagen.. Der Hagener Raser-Prozess: Fern-Uni-Professor Osman Isfen über den öffentlichen Druck und seine Eindrücke von den bisherigen Verhandlungstagen


Am Donnerstag geht der Raser-Prozess vor dem Landgericht Hagen weiter. Prof. Osman Isfen, Rechtswissenschaftler an der Fern-Uni Hagen, fasst jeden Verhandlungstag in ­seinem strafrechtlichen Blog zusammen.

Am Wochenende wurden mutmaßliche illegale Autorennen in Köln und Hagen bekannt, unlängst starb in Mönchengladbach ein Fußgänger bei einem Rennen. Haben solche Fälle Auswirkungen auf den Raser-Prozess in Hagen?


Osman Isfen: Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das Gericht von solchen Vorfällen beeinflussen lässt. Natürlich nimmt man diese Ereignisse auch als Richter wahr und weiß um die Bedeutung einer Entscheidung, die in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen wird. Aber die Kammer hat bisher nicht im Geringsten den Anschein erweckt, dass es ihr über den Einzelfall hinaus auch um eine Signalwirkung für die anderen, künftigen Fälle gehen wird.

Wie groß ist der Druck auf ein Gericht, wenn Politik und Öffentlichkeit angesichts immer neuer Raser-Fälle schärfere Strafen fordern?

Es ist nicht selten so, dass der Ruf nach schärferen Strafen sofort im Raume steht, wenn sich bestimmte Muster wiederholen, die von besonderer Rücksichtslosigkeit zeugen. Die Erwartungshaltung der Gesellschaft nimmt dabei vor allem dann exponentiell zu, wenn auch persönliche Schicksale zum Vorschein kommen, die keinen Prozessbeteiligten kalt lassen können, auch nicht die Richter. Das haben wir in Hagen besonders deutlich erlebt, als nicht nur die Geschädigten, sondern auch die Ersthelfer über ihre Erlebnisse berichtet haben. Es waren äußerst bewegende Momente.

Könnte angesichts großer öffentlicher Emotionen den Angeklagten drohen, dass an ihnen ein Exempel statuiert wird?

Nein, das Gericht hat stets über den Einzelfall zu entscheiden, wie dieser sich nach geltenden Strafnormen darstellt. Es geht im Prozess um die konkreten Angeklagten und deren mögliches Fehlverhalten sowie um ihre individuelle Schuld. Die vor Gericht stehenden Personen werden nicht zu Objekten, an denen ein Exempel statuiert werden könnte, sondern sie behalten als Subjekte des Verfahrens ihren Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und auf eine schuldadäquate gerichtliche Entscheidung. Die Richter dürfen diesen existenziellen, unverrückbaren Standpunkt der Strafjustiz nicht verlassen, um diffuse Gefühlslagen in der Gesellschaft zu befriedigen, und schon gar nicht im vorauseilenden Gehorsam etwaigen politischen Tendenzen faktische Geltung zu verleihen.

Bislang waren Strafen für Raser eher moderat. Im Februar wurden zwei Raser in Berlin wegen Mordes verurteilt. Kritiker sprachen von Populismus. Wie stehen Sie dazu?

Es ist ein schwieriges Neuland, das das Berliner Gericht betreten hat. Die Kammer hat sich in den Urteilsgründen sehr darum bemüht, ihre Auffassung umfassend darzulegen. Wir werden sehen, wie der Bundesgerichtshof darüber befindet. Derzeit überwiegen in der strafrechtswissenschaftlichen Szene wohl die kritischen Stimmen. Ich denke, dass man aus dem Berliner Urteil keine allgemeinen Schlüsse für die Beurteilung künftiger Fälle ableiten kann. Der Verdienst des Berliner Falls liegt gerade darin, dass man von pauschalisierten Sichtweisen strikt Abstand nimmt.

Was sollte der Gesetzgeber aus Ihrer Sicht tun?

Er sollte einen Qualifikationstatbestand schaffen: Wer bei bestimmten Fällen der Straßenverkehrsgefährdung – sei es auch nur fahrlässig – den Tod anderer Personen verursacht oder diese schwer an der Gesundheit schädigt, wird nicht mit unter zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Dadurch wird eine Strafe von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe möglich. Derzeit muss bei der Annahme eines Tötungsvorsatzes in bekannten Straßenrennen-Fällen in der Regel zwingend auf lebenslange Freiheitsstrafe wegen des schwersten Deliktes, das unsere Rechtsordnung kennt, erkannt werden: Das passt nicht.

Welche Eindrücke haben Sie im bisherigen Prozess gewonnen?

Es ist ein sachlicher Prozess, den die Verfahrensbeteiligten führen. Das Gericht konzentriert sich unter der besonnenen Verhandlungsführung der Vorsitzenden auf die Aufklärung des Sachverhalts und hat bisher nicht den Anschein erweckt, als ob es die Tat rechtlich anders beurteilen könnte als von der Staatsanwaltschaft angeklagt. Auf der Anklagebank kommen zwei Verteidigungsstrategien zum Vorschein: Der eine Angeklagte bereut offen seine Tat, der andere darf/kann sich nicht einmal bei den Opfern für das erlittene Leid entschuldigen, weil er damit aus seiner Sicht wohl Gefahr laufen würde, seine Schuld einzugestehen. Der reuige Angeklagte hat glaubwürdig dargelegt, dass er schnell nach Hause fahren wollte, um seinem an Krämpfen leidenden Sohn zu helfen. Was den jüngeren Angeklagten zu der Fahrt bewogen haben könnte, bleibt im Dunkeln.