Hagen. Boxen, Fußball, Irish Dance: Hagens neue Ballettchefin Marguerite Donlon hat viele Pläne, zum Beispiel für eine Jugend-Company

Die Ballettdirektorinnen in Deutschland kann man an einer Hand abzählen. Tänzerinnen im Tutu gibt es zuhauf, aber weiter oben wird die Luft dünn für Frauen. Marguerite Donlon gehört zu dieser seltenen Spezies. Die neue Hagener Tanztheater-Leiterin ist eine international erfolgreiche Choreografin mit Aschenputtel-Werdegang. Ihr großes Vorbild als Kind im irischen County Longford war Muhammad Ali. „Als ich jung war, wollte ich Boxer werden, weil Muhammad Ali sich so tänzerisch bewegt hat“, sagt sie. In ihrem Wahlspruch folgt sie denn auch dem Sportler: „Unmöglich ist nichts!“ Und weil sie davon so fest überzeugt ist, lädt die Irin jetzt bewegungsfreudige junge Leute ab 16 Jahren aus der ganzen Region an das Theater Hagen zum Projekt iMoveHa ein, der ersten Hagener Jugend-Tanz-Company.


„Das ist ganz offen, die Teilnehmer brauchen keine Vorkenntnisse. Große, Kleine, Rundliche, Dünne, Rollstuhltänzer, Breakdancer, alle sind willkommen“, betont Marguerite Donlon. Das erste Treffen ist am Donnerstag, 31. Oktober.

Barrieren einreißen und Brücken bauen

Mit Nicht-Profis ein Tanzprojekt auf die Beine stellen? Das hört sich ein wenig nach „Billy Elliot - I Will Dance“ an, dem Kinoerfolg. Tatsächlich spiegelt Billy Elliot in gewisser Hinsicht den Werdegang und die Philosophie von Marguerite Donlon. Ungeschliffene Diamanten entdecken und zum Strahlen bringen, das ist ihre Leidenschaft. Und die universelle Sprache des Tanzes nutzen, um Barrieren einzureißen und Brücken zu bauen, das ist ihre Mission.

Warum ziehst Du nach Hagen? Was hast Du für ein Problem? Das haben die Leute entsetzt gefragt, als Marguerite Donlon den Ruf aus Südwestfalen akzeptiert hat. Die Antwort ist vielleicht unbequem, aber ehrlich. New York kann jeder. „Ich möchte an einem Ort sein, wo ich weiß, dass ich einen Unterschied bewirken, etwas verändern kann. Theater ist ein Heilmittel, das unterschiedlichste Leute zusammenbringt, das uns dazu bringt, die großen Menschheitsthemen gemeinsam zu reflektieren. Und Theater ist natürlich auch ein Ort, um Spaß zu haben. Ich möchte mit meiner Arbeit alle Schichten in Hagen ansprechen.“

Hochbegabte Tänzer absolvieren in der Regel eine Kaminkarriere, sie gehen schon im Grundschulalter ins Internat und bleiben dann ein Leben lang in der Branche. Im schlechtesten Fall wissen sie dadurch wenig von der Welt. Marguerite Donlon hat erst mit 13 Jahren angefangen. Viel zu alt. Unmöglich. Aber sie hat bereits als Kind Irish Dance geliebt, und diesem Hobby verdankt sie ihre flinken Füße. Die erste Ballettlehrerin erkennt das Potential des Teenagers und überredet die Eltern, Marguerite zur weiteren Ausbildung nach England zu schicken, zu Dorothy Stevens und ihren Katzen. Dort macht sie parallel ihr Abitur. Eines Tages gastiert das English National Ballet in West Yorkshire, Marguerite darf an einer Probe teilnehmen, und der Ballettdirektor, der berühmte Kevin Haigen, entdeckt sie und holt sie mit nach London. Dort arbeitet sie abends als Ankleiderin, um Geld zu verdienen, tagsüber trainiert sie mit dem Ensemble - nach wenigen Wochen erhält sie einen festen Vertrag und bald große Solorollen. Es gibt eine Anekdote, dass sie in dieser Zeit Plastiktüten über ihren kaputten Schuhen trug, um keine nassen Füße zu kriegen, weil sie zu stolz war, Zuhause um Geld zu bitten. „Und dabei hätten mich meine Eltern von Herzen gerne unterstützt“, sagt Marguerite Donlon heute, „aber ich wollte auf eigenen Füßen stehen.“

Wechsel in die Choreographie

Mit Kevin Haigen geht sie drei Jahre später nach Berlin, tanzt mit allen großen Namen und entscheidet sich schließlich, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Tänzerin in die Choreographie zu wechseln. Den ersten Auftrag gibt es gleich vom Nederlands Dans Theater. Dann kommt ein Ruf nach Saarbrücken, wo sie 12 Spielzeiten lang als Ballettdirektorin gefeiert wird.

Die Katastrophe bricht unverhofft über die Familie Donlon herein. Marguerites Mann, der Jazzmusiker und Komponist Prof. Claas Willeke, wird 2013 bei einem Autounfall getötet. „Unsere Tochter war damals sechs, und in dem Augenblick hast Du die Wahl: schwimmen oder untergehen. Du kannst in ein Loch fallen, oder Du sagst: Ich habe ein Geschenk gehabt, er hat mir mit unserer Tochter ein Geschenk gegeben. Ich will nicht überleben, ich will blühen. Ich habe mir versprochen, dass ich versuche, nie verbittert zu sein.“

Marguerite Donlon hat Familie in Siegen und Bielefeld. Die Tanzszene des Ruhrgebiets reizt sie. Und der BVB, sie ist ein großer Fußballfan und freut sich auf ihren ersten Stadion-Besuch. Für ihre Arbeit am Theater Hagen hat sie aufregende Pläne. „Meine Aufgabe ist es, neben den Choreographien auch soziale Projekte zu machen. Jede Person in dieser Stadt, egal welcher Herkunft, muss wissen: Wir sind für sie da, wir machen für sie Theater.“ So wird es künftig bei den Ballettvorstellungen Gebärdendolmetscher geben, welche die emotionale Aussage der Musik für ein gehörloses Publikum übersetzen. „Das Schöne am Tanz ist, dass man diese Sprache versteht, egal aus welcher Kultur man kommt“, sagt sie und ergänzt: „Meine Aufgabe ist es, Licht in diese Stadt zu bringen.“

Internationaler Glanz

Dabei dürfte der internationale Glanz, der die Arbeit von Marguerite Donlon umstrahlt, nicht schaden. Die Ballettdirektorin wird mit ihrem Donlon Dance Collective, einer Gruppe von Choreographen, Komponisten und Lichtdesignern, weiterhin weltweit unterwegs sein. Bereits im November kommt eine Organisatorin des Dance Salad Festivals aus Houston, Texas, nach Hagen, um sich Donlons „Casa Azul“ anzusehen. „Das Ballett Hagen in Houston, das wäre doch was.“

Barrieren abbauen, das soll auch iMove, ein Pionierprojekt in der Tanzlandschaft NRWs. Die Jugend-Company soll eigene Choreographien entwickeln und dazu bei Musicals und Operetten im großen Haus mitwirken. Dabei lernen die jungen Leute nicht nur Tanzen, sondern auch Durchhaltevermögen, Selbstvertrauen und Teamgeist. Wenn sie das betont, strahlt aus Marguerite Donlons grauen Augen wieder das kleine Mädchen, das Boxerin werden will, weil sich Muhammad Ali so graziös bewegen kann, denn: „Mit Begeisterung, Leidenschaft, Vertrauen und Unterstützung kann man alles schaffen.“


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