Gütersloh/Rheda-Wiedenbrück. Landkreis Gütersloh wirft Tönnies vor, bei Adressen-Beschaffung unkooperativ gewesen zu sein. Tönnies: Datenschutzrecht sei Problem gewesen.
"Unser Vertrauen in die Firma Tönnies ist gleich null", so der Gesundheitsdezernent im Kreis Gütersloh, Thomas Kuhlbusch, am Samstag bei einer Pressekonferenz zum aktuellen Ausbruch auf Deutschlands größtem Schlachthof. Demnach habe man sich in der Nacht zu Samstag gemeinsam mit dem Arbeitsschutz Zutritt zum Werk verschaffen müssen. Tönnies hatte es demnach weder mit "gutem Zureden" noch mit einer Ordnungsverfügung geschafft, die kompletten Adresslisten der Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen.
Erst gegen 1.30 Uhr seien die Beamten mit den Listen wieder abgerückt. 1300 Adressen werden seither von mobilen Teams der Bundeswehr und dem Gesundsheitsamt aufgesucht, um die Menschen vor Ort auf die Quarantäne hinzuweisen und Abstriche zu nehmen. "1300 Wohnungen sind weit mehr als das, was wir erwartet haben", sagt Kuhlbusch. Demnach waren offenbar deutlich weniger Unterkünfte beim Kreis angegeben worden. Kuhlbusch dankte auch der Bezirksregierung Detmold, die gezielt auf die Subunternehmen von Tönnies zugegangen sei. "Das war lange Zeit ein Dunkelfeld, das jetzt offen liegt", so der Gesundheitsdezernent.
Gespräche mit rumänischer Botschaft geführt
Auch die angrenzenden Kreisen betrachten mit Sorge, dass sie von dem Schlachtbetrieb Tönnies keine vollständigen Personallisten erhalten haben. Durch die fehlende Erfassung sei nicht ausgeschlossen, dass einige der bei Tönnies arbeitenden Billiglohn-Kräfte ihre zwischenzeitlichen Wohnorte verlassen und in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind. "Wir haben dazu keine offiziellen Erkenntnisse, aber dies ist ganz offensichtlich so, das wird aus verschiedenen Orten von Bürgerinnen und Bürgern berichtet“, sagte Jan Focken, Sprecher des Kreises, dieser Zeitung. Mittlerweile seien auch Gespräche mit der rumänischen Botschaft geführt worden, die ebenfalls in Sorge sei, wie es bei der Pressekonferenz hieß.
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Nach Angaben von Kreisdirektor Dirk Lönnecke, Leiter des Krisenstabes im Kreis Soest, seien die Probleme bei der Zusammenstellung von Beschäftigten-Listen darauf zurückzuführen, dass sich das Tönnies-Personal im Bereich Zerlegung aus verschiedenen Subunternehmen rekrutiert.
Tönnies nennt Datenschutzrecht als Hauptproblem der fehlenden Adressen
Zu der Problematik der fehlenden Adressen nahm am späten Samstagnachmittag auch Clemens Tönnies in einem rund 20-minütigen Pressestatement vor der Firmenzentrale in Rheda-Wiedenbrück Stellung und widerspricht den Behörden: "Wenn der Leiter des Krisenstabs sagt, das Vertrauen sei bei null, dann trifft mich das besonders hart."
Tönnies nennt den Datenschutz als Hauptproblem, warum sein Unternehmen dem Krisenstab die geforderten Adressen nicht sofort habe übermitteln können. Das Werkvertragsrecht erlaube es dem Unternehmen nicht, die Adressen der betroffenen Mitarbeiter abzufragen. "Wir dürfen eigentlich nur Name, Geschlecht, Geburtsdatum abfragen. Mehr an Daten dürfen wir eigentlich nicht haben." Laut Tönnies müsse in solchen Situationen der Datenschutz überdacht werden: "Wir haben Pandemie, da muss Datenschutz hinten anstehen."
Datenschutzrechtliche Bedenken bei Dienstleistern
Einige Dienstleistungsunternehmen hätten datenschutzrechtliche Bedenken geäußert und seien nicht bereit gewesen, ohne eine schriftliche Anforderung die Daten herauszugeben. Nachdem diese schriftliche Anforderung der Behörde vorlag, hätten auch die noch ausstehenden Adressen umgehend der Behörde übergeben werden können.
"Wir mussten Namen und Datensätze von 6000 Mitarbeitern in kürzester Zeit ermitteln. Wir haben Freitagfrüh die ersten Datensätze übermittelt. Wir haben die herausgegeben, obwohl wir es eigentlich nicht dürften", ergänzt Tönnies-Konzernvize Andreas Ruff. "Am Abend kam die Behörde und wir haben sachlich miteinander gesprochen. Sie haben erklärt, dass ein Teil der Daten so für sie nicht zu verarbeiten sind. Wir haben deshalb dann gemeinsam in der Personalabteilung gesessen", so Ruff weiter.
Clemens Tönnies: "Wir sind die Ursache dieses Themas und stehen in voller Verantwortung"
Samstag um 16 Uhr hätte das Unternehmen Tönnies dann alle Daten abgeliefert, auch solche, die erst in der vergangenen Nacht von den Behörden angeblich neu gefordert wurden. Konzernvize Andreas Ruff: "Aus meiner Sicht war das gestern Abend eine sehr produktive Zusammenkunft. Wenn wir in manchen Bereichen zu langsam waren, dann tut es mir leid. Aber ich betone noch einmal: Das waren Daten, die wir eigentlich nicht hätten haben dürfen."
In seiner Stellungnahme entschuldigte Clemens Tönnies sich schließlich auch bei den Menschen im Kreis Gütersloh und der Umgebung: "Wir sind die Ursache dieses Themas und stehen in voller Verantwortung." Er wolle nun alles tun, um den Ausbruch einzudämmen.
Auf Nachfrage eines Reporters macht Tönnies noch einmal klar: "Ich werde das Unternehmen aus dieser Krise führen und mache mich nicht aus dem Staub." Jetzt gehe es darum, "den Virus aus dem Betrieb zu bekommen." Tönnies kündigt in diesem Zusammenhang auch an, das Gespräch mit Arbeitsminister Hubertus Heil und NRW-Gesundheitsminister Laumann zu suchen: "Eines ist klar, so werden wir nicht weitermachen. Wir werden diese Branche verändern."
NRW-Ministerpräsident in Sorge
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hatte bereits am Freitag wissen lassen, dass er ein großes Problem in der breiten Streuung der Wohnorte der Tönnies-Beschäftigten sehe. Das Virus könnte sich daher ausgebreitet haben. Diese Streuung berge laut Laschet eine enorme Pandemiegefahr. Der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer weckte am Samstag jedoch die Hoffnung, dass ein regionaler Lockdown verhindert werden kann.
Von den insgesamt 3127 vorliegenden Corona-Testergebnissen der Tönnies-Mitarbeiter seien insgesamt 1029 Proben positiv. Das sei im Vergleich zu Freitag ein Anstieg um 200 und damit deutlich weniger als noch in den vergangenen Tagen. Aktuell gebe es noch keine Hinweise darauf, dass das Infektionsgeschehen bei Tönnies weit in die Bevölkerung im Kreis Gütersloh hineingetragen wurde. "Wir haben die Chance zu bverhindern, dass es zu einem regionalen Lockdown kommt", sagte Adenauer. Die Krankenhäuser seien dennoch vorbereitet. Aktuell werden dort 19 Corona-Patienten versorgt, fünf davon auf der Intensivstation. (mit JeS/mawo)