Hagen. Manche NRW-Städte ächzen unter dem Flüchtlingsstrom. Warum es ein Stadt-Land-Gefälle gibt und was das für Schulsystem und Wohnungsmarkt heißt.
Die Bereitschaft zur Hilfe ist riesengroß. Aber wie viele Menschen aus der Ukraine sind tatsächlich schon vor Putins Angriffskrieg in unsere Region geflüchtet? Dazu gibt es gut einen Monat nach Kriegsbeginn noch immer kein belastbares Lagebild. Die in Sachen Flüchtlingsunterbringung für ganz NRW zuständige Bezirksregierung Arnsberg hat zwar eine Abfrage bei allen 396 Kommunen des Landes gestartet. Doch die Zahlen, die am Donnerstag vorliegen sollten, gibt es nun doch noch nicht komplett. Lediglich eine Hochrechnung auf Basis von 300 der 396 Kommunen wurde erstellt: Demnach sind bisher etwa 85.000 Geflüchtete in den Kommunen erfasst.
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Hinzu kommen die derzeit in den Landeseinrichtungen untergebrachten 8660 Flüchtlinge aus der Ukraine. Insgesamt also mehr als 93.000 Geflüchtete. Völlig im Dunkeln bleibt aber die Zahl derer, die sich noch nicht bei Behörden gemeldet haben. Somit gibt es auch noch keine Fakten, wie groß die Herausforderungen für unser Schulsystem oder auch den Wohnungsmarkt tatsächlich werden. Aber es wird hart daran gearbeitet, die Strukturen zu schaffen.
Die Zahlen
Auch wenn es noch kein komplettes Lagebild gibt, ist doch ein Trend klar: Die Geflüchteten zieht es zunächst in die größeren Städte. Dortmund ist aktuell beliebt – dort leben schon viele Ukrainer. Je ländlicher die Region wird, desto geringer ist derzeit noch der Zulauf. Eine kleine Rechnung: Dortmund mit 590.000 Einwohnern registrierte rund 4000 Geflüchtete aus der Ukraine, Lennestadt im Kreis Olpe mit rund 27.000 Einwohnern hatte Anfang der Woche 109. Dortmund weist also fast 22 Mal so viele Einwohner wie Lennestadt auf, aber nahezu 37 Mal so viele Flüchtlinge.
Die Unterbringung
Die Kommunen sind dafür zuständig, Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu besorgen. Nach den bisherigen Rückmeldungen scheint es in Südwestfalen bislang noch nicht zu wirklichen Engpässen zu kommen. Aber die große Herausforderung wartet wohl noch. Beispiel Hagen: 936 Geflüchtete aus der Ukraine waren hier Anfang der Woche offiziell registriert. „472 Menschen sind zunächst privat untergekommen“, rechnet Stadtsprecherin Clara Treude vor: „Aber 258 davon benötigen innerhalb der nächsten drei Monate eine Unterbringung seitens der Stadt.“
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Und das vor dem Hintergrund, dass das Land der Stadt an nur einem Tag 35 weitere Geflüchtete zugewiesen hat. Dabei ist schon jetzt die Herausforderung groß: Hagen hat schon Sammelunterkünfte belegen müssen: Etwa in einer Sporthalle oder in einem Teil der Stadthalle. Die seien auch schon nahezu voll, so Clara Treude: „Auch die angemieteten kommunalen Wohnungen sind belegt. Es werden auch schon Hotels und eine Jugendherberge genutzt.“
Im ländlicheren Kreis Olpe ist die Situation noch etwas entspannter. „Dank der großen Hilfsbereitschaft konnten beinahe alle Geflüchteten bisher in privaten Unterkünften unterkommen“, so Kreissprecherin Stefanie Gerlach. Aber man wappnet sich. Die sieben Städte und Gemeinden haben gemeinsam zwei Sammelunterkünfte vorbereitet: die frühere Jugendherberge in Finnentrop-Heggen mit 190 Plätzen und 300 Plätze im Christlichen Jugenddorf in Olpe-Eichhagen.
Die Schulen
Auch hier gibt es noch ein Stadt-Land-Gefälle. Während der Kreis Olpe (134.000 Einwohner) aktuell 14 ukrainische Kinder und Jugendliche in den Schulen aufgenommen hat und 16 weitere gerade im Aufnahmeverfahren stecken, waren es in Hagen (190.000 Einwohner) bereits Ende vergangener Woche etwa 215. Erklärtes Ziel ist es, die ukrainischen Kinder in schon bestehende Klassen zu integrieren. Es werden aber auch spezielle Willkommensklassen für ältere Schüler gebildet, in denen das Lernen der deutschen Sprache im Vordergrund steht. Aber die Last, alle Schüler unterzubringen, ist groß. Schon vor der Fluchtbewegung aus der Ukraine, so Sprecherin Clara Treude, habe es in Hagen Raumnot gegeben.
Die Registrierung
Wenn sich Geflüchtete aus der Ukraine bei den Kommunen anmelden, dann müssen sie ein Registrierungsverfahren durchlaufen. Das bedeutet: Passfotos müssen gemacht und Fingerabdrücke digital erfasst werden. „Fast-ID“ heißt das in der Fachsprache. Der Märkische Kreis, in dem bislang rund 1100 Menschen offiziell Zuflucht gefunden haben – darunter etwa 40 Prozent Minderjährige – richtet nun zwei „Registrierungsstraßen“ ein: Eine im Kreishaus Lüdenscheid und eine im Hönne-BerufskollegMenden. „Neben dem normalen Betrieb ist geplant, an sieben Tagen in der Woche an den Registrierungsstraßen zu arbeiten“, so Kreissprecher Alexander Bange.
Der 2015-Vergleich
Sind die Behörden heute besser auf die Flüchtlingsbewegung vorbereitet als 2015? „Auf diese Situation konnte man sich nicht vorbereitet“, heißt es von der Stadt Hagen. „Der Unterschied zu 2015/16 ist, dass die Menschen damals gesteuert nach Hagen kamen, durch Landeszuweisungen, und mit Vorlauf angekündigt wurden. Das Personal wurde nach und nach aufgebaut – das fehlt jetzt.“ Und auch vom Hochsauerlandkreis kommt nur vorsichtiger Optimismus: „Unser Eindruck ist, dass vieles schon eingeübt ist. Aber es bleibt abzuwarten, ob die Strukturen von heute dem Realitätscheck standhalten.“
>> INFO: Zahlen für einige Städte
- Auch wenn es kein komplettes Lagebild gibt, für diese Städte gibt es Werte:
- Die Zahl der aus der Ukraine Geflüchteten liegt in Arnsberg bei 490 Menschen, in Hagen bei 1054, in Olpe bei 96, in Meschede bei 199, in Brilon bei 98, in Soest bei 431, in Siegen bei 553 und in Schwelm bei 127.