Hagen. „Regen wird für uns immer mehr bleiben als bloß Regen“. Drei Betroffene berichten, warum sie der Tag der Flutkatastrophe immer noch bewegt.
Genau ein halbes Jahr ist das Unglück nun her: Am 14. und 15. Juli ertränkte der Starkregen große Teile von NRW. Hagen gehörte zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Straßen wurden zu Flüssen, in denen Autos, Baumstämme und Mülltonnen fortgerissen wurden. Nur mit Glück kam niemand ums Leben. Wie geht es den Menschen, die wir an jenen Tagen auf den Straßen trafen oder am Telefon sprachen? Was ist geblieben von diesem Jahrhundertereignis? Drei Flutgeschädigte berichten.
1. Das mulmige Gefühl
Neulich war es wieder soweit. Es regnete etwas kräftiger, so dass man es auch in der Wohnung gut hört. Der Zweieinhalbjährige schreckte ängstlich aus dem Schlaf hoch und rief: „Mama, Papa! Regen, Regen!“ Ein harmloser Dezember-Regen, aber der Sohn von Florian von Westernhagen weiß, welche Kraft Wasser entwickeln kann.
Die Nacht, in der das Wasser kam, verschlief er, die Nervosität und Sorge der Menschen um ihn herum bekam er aber am Tage direkt mit. Sein Sandkasten neben dem Mehrfamilienhaus unterhalb des Schlosses Hohenlimburg riss das Wasser ebenso mit wie den halben Vorgarten, die Treppe, das Gestein neben dem Haus. „Da war ein riesiger Krater“, sagt Florian von Westernhagen, der damals Sorge hatte, dass das Haus, gegen das das Wasser schlug, einstürzen könnte. Teile der Nacht verbrachte die Familie deswegen vor dem Haus. „Er hat da auf jeden Fall etwas mitgenommen“, sagt von Westernhagen über seinen Sohn. „Das ist das Schlimmste daran.“
Vier oder fünf Tage waren die Menschen in der Straße von der Außenwelt abgeschnitten, ehe schweres Gerät aufgefahren wurde. Geröll vom Berg hatte Autos unter sich begraben. Mittlerweile ist der Krater verfüllt, doch Teile der Straße sind noch immer eine Baustelle. Der Statiker musste kommen, um die Sicherheit des Hauses zu garantieren. Der Bachlauf neben dem Haus, der im Sommer sonst nie Wasser führe, wird noch durch die Stadt erneuert.
Ein Haus in der Straße, sagt von Westernhagen, ist angeblich einsturzgefährdet. Altes Fachwerk direkt im Wege der Fluten. Wo der, der da wohnt, ist, wisse keiner in der Straße. In der Nachbarschaft ist die Flut von damals fast täglich ein Thema. Immer wieder auch, wenn es regnet und sie sich gegenseitig befragen, ob die Autos weggefahren werden müssen. „Regen wird für uns immer mehr bleiben als bloß Regen“, sagt der Familienvater.
2. Schimmel an den Wänden
Seinen geliebten Jeep hat Wolfgang Altenkämper an die Fluten verloren. Er hatte den Wagen vor der Tür geparkt, am nächsten Morgen stand er verkeilt und zerbeult hundert Meter entfernt die Straße hinunter. Das andere Auto: auch Totalschaden. Im Haus, ein Generationenhaus, das der Tochter und dem Schwiegersohn gehört, kam das Wasser sogar aus den Steckdosen. 30.000 bis 40.000 Euro Schaden, keine Elementarschadenversicherung. Ein Teil konnte aber „zum Teil dennoch reguliert werden“. 1500 Euro Spenden kamen auch an.
Die Pflastersteine vor dem Haus hatte es hochgedrückt, in der Treppe zum Eingang klaffte ein Loch. Alles behoben. „Im Erdgeschoss sind wir im November mit den Renovierungen fertig geworden“, sagt Altenkämper. In der Garage aber frisst sich jetzt der Schimmel an den Wänden empor. „Wir sind noch nicht fertig, aber auf einem guten Weg“, sagt Altenkämper. Was übrig blieb? Das Gefühl von Zusammenhalt in der Nachbarschaft, die ein gemeinsames Fest organisierte, als das Wasser und der Schlamm weggeschippt waren. Und das Gefühl, immer mal wieder die Pegelstände von Lenne und Volme kontrollieren zu müssen. „Dieser Tag“, sagt er, „wird im Kopf bleiben.“
3. Bei 90 Prozent
Bis vor kurzem, als es noch nicht so kalt war, haben die Mitarbeiter im Drei-Schicht-Betreib auch weiter mit Hochdruckreinigern auf dem Hof gestanden und weiter und weiter die dicken Draht-Koils gereinigt. Gereinigt von dem Schlamm und Dreck, den die Flut in der Nacht zum 15. Juli auf das Firmengelände der Hagener Feinstahl GmbH geschwemmt hatte. Die Wassermassen hatten auch die Maschinen beschädigt, die nötig sind, um die am Markt sehr gefragten Spezialdrähte herzustellen.
Ingo Bender, der geschäftsführende Gesellschafter, war damals im Urlaub, flog sofort zurück. Heute kann er sagen: „Unser Betrieb läuft wieder auf 85 bis 90 Prozent des Vor-Flut-Niveaus.“ Wenn auch nicht reibungslos. Für einige Maschinen fehlten die nötigen Ersatzteile, sie wurden erst mal mehr zusammengeflickt. „Das haben wir westfälisch-pragmatisch gemacht.“
Rund vier Millionen Euro Schaden hat die Flut hier angerichtet. Eine Hochwasser-Versicherung gab es nicht, die wollte kein Versicherer so nahe des Flusses Volme abschließen. Jetzt hofft man auf die Wirtschaftshilfen von Bund und Land. Ein für den Antrag notwendiger Gutachter arbeitet noch, noch ist kein Geld geflossen. Ingo Bender will trotzdem nicht klagen. Auch nicht darüber, dass zwei Monate nach der Flut ein Großbrand einen Teil des Unternehmens zerstörte: „Wir haben einfach gesagt: Das schaffen wir jetzt auch noch.“