Hagen. Wie früher: Ab Dezember fährt ein Intercity durchs Sauerland. Doch klappt der Start angesichts der Flutschäden? Und welche Vorteile bringt er?
Nach gut 20 Jahren wird der 12. Dezember 2021 zum Wendepunkt: Die Ruhr-Sieg-Strecke durch Sauer- und Siegerland wird mit dem Fahrplanwechsel wieder mit einer Intercity-Line (IC) direkt an den Fernverkehr der Bahn angeschlossen. Ohne Umstieg geht es etwa von Finnentrop nach Frankfurt, Dortmund oder Münster. Und einmal täglich sogar bis nach Norddeich Mole an der Nordsee-Küste. Aber klappt das tatsächlich angesichts der Flutschäden auf der Strecke? Und welche Hoffnungen setzen Wirtschaft und Tourismus in die neue Fernverbindung?
Wie verläuft die neue Intercity-Strecke?
Die neue IC-Linie wird sechsmal in jede Richtung Frankfurt mit Münster verbinden und dabei Halt machen in Siegen, Siegen-Weidenau, Kreuztal, Lennestadt (Altenhundem und Grevenbrück), Finnentrop, Plettenberg, Werdohl, Altena sowie in Iserlohn-Letmathe. Die Züge halten auch in Witten und Dortmund. Zwei weitere tägliche Verbindungen je Richtung fahren über Schwerte und Unna, bevor sie über Hamm Richtung Münster fahren. Hier halten die Züge zwischen Siegen und Iserlohn-Letmathe nur in Lennestadt-Altenhundem. Eine dieser beiden „Sprinter“-Verbindungen fährt auch täglich weiter bis Norddeich Mole mit Anschluss auf die Ostfriesischen Inseln - und auch wieder zurück. Hagen wird nicht angefahren – der IC müsste sonst abbiegen und im Hauptbahnhof die Richtung wechseln. Hagen hat aber ohnehin viele Fernverkehr-Anbindungen.
Welche Verbesserungen bedeutet das für die Fahrgäste?
Auf den ersten Blick ist die Zeitersparnis gar nicht so riesig. Beispiel Finnentrop: Mit der neuen IC-Verbindung ist man in 2 Stunden und 20 Minuten in Frankfurt. Sonst braucht man laut Fahrplan 2 Stunden 31 Minuten mit zwei Regional-Express-Zügen und einem Umstieg in Siegen – elf Minuten gespart. Zudem: Das Risiko, dass beim Umstieg der Zug nicht erreicht wird, entfällt. Ähnlich in die andere Richtung. Nach Dortmund beträgt die Zeitersparnis durch die Direktverbindung ohne Umstieg 16 Minuten. Fernverbindungen auf der Ruhr-Sieg-Strecke haben übrigens eine lange Tradition – noch in den 1980er-Jahren sogar von der Nordsee bis Stuttgart oder München. Mit dem Aus für den Interregio im Jahr 2001 endete der Fernverkehrsanschluss.
Wie wirkt sich dies auf die Ticketpreise aus?
Welche Verbindung günstiger ist, kann pauschal nicht gesagt werden. Das hängt auch vom Buchungsverhalten ab. Wer früh ein Ticket bucht, kann mit dem IC sogar günstiger fahren als mit den bisherigen Verbindungen im Normaltarif. Eine Besonderheit: Von Dillenburg in Hessen bis nach Iserlohn-Letmathe gelten auch - außer bei den „Sprinter“-Verbindungen über Schwerte/Unna die günstigeren Nahverkehrs-Tickets („Westfalen-Tarif“). Sicher ein Zugeständnis, weil mit dem neuen IC alle zwei Stunden die bisherigen Verbindungen des Ruhr-Sieg-Express (RE 16) ersetzt werden. Das hat auch Verschlechterungen für Welschen-Ennest zur Folge. Hier hält der IC – im Gegensatz zum RE 16 – nicht mehr. Gleiches gilt für Hagen-Hohenlimburg. Hier kommt man aber ohnehin im Zweifel schneller ins Rhein-Main-Gebiet über den Hagener Hauptbahnhof.
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Klappt der IC-Start überhaupt angesichts der Flutschäden?
Die Bahn ist jedenfalls optimistisch. „Ziel ist, dass wir die Strecke zum Fahrplanwechsel wieder planmäßig mit Personenzügen befahren können“, so ein Bahnsprecher. Die Ruhr-Sieg-Strecke war zwischen Hohenlimburg und Altena durch die Flut im Juli massiv beschädigt worden. Hier fahren nur Busse als Schienenersatzverkehr. „Die Kollegen arbeiten mit Hochdruck, insbesondere an der Reparatur des Stellwerkes in Hohenlimburg“, so ein Bahnsprecher. Es seien aber noch umfangreiche Oberbauarbeiten an der gesamten Strecke zu erledigen.
Was verspricht sich der Tourismus von der IC-Verbindung?
„Wir freuen uns über die verbesserte Anbindung der Region“, sagt Thomas Weber, Geschäftsführer von Sauerland-Tourismus. „Das trägt langfristig zur Attraktivierung des Themas ‚Anreise mit der Bahn‘ im westlichen Sauerland bei.“ Noch ist die neue IC-Verbindung nicht in die Werbe- und Marketingmaßnahmen eingebunden, das will man aber mittelfristig tun. Wohlwissend, dass es generell einen großen Nachholbedarf gibt. Ausflugsziele und Touren-Ausgangspunkte seien vielfach nicht ausreichend an den ÖPNV angeschlossen. „Deshalb greifen die Tagesausflügler und Urlauber bei der Anreise meist auf ihre Pkw zurück“, so Weber. Monika Dembrowsky vom Touristikverband Siegen-Wittgenstein sagt ebenfalls, dass man die neue IC-Verbindung als Anreiseoption ausweisen wolle. Ob dadurch mehr Gäste mit dem Zug anreisen werden, sei unklar.
Was sagt die Wirtschaft?
„Die schnelle Verbindung aus Westfalen und dem Ruhrgebiet auf der einen Seite und Siegen, Wetzlar und Frankfurt auf der anderen Seite kann tatsächlich dazu beitragen, dass Facharbeiter für unsere Region gewonnen werden können“, sagt Jan Tornow, Verkehrs-Experte der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK). Dass Hagen nicht direkt von dem neuen IC angefahren werde, sei verständlich, weil die dort notwendige Kehrtwende einen Zeitverlust von 20 Minuten ausmachen würde. „Wichtig für die Region ist die umsteigefreie Anbindung kleinerer Orte an den Fernverkehr“, so Tornow. Ganz ähnlich auch Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen: „Es kann auch für einzelne Firmen Nachteile geben, wenn etwa Welschen-Ennest nicht mehr so oft angefahren wird, dort aber Berufspendler den Halt nutzen. Aber unterm Strich überwiegen die Vorteile klar – gerade auch durch die Direktverbindung nach Dortmund.“ Einig sind sich beide: Negative Auswirkungen auf den Güterverkehr werden nicht befürchtet. Der laufe größtenteils nachts auf der Ruhr-Sieg-Strecke.