Menden. Real schließt in Menden, Hemer, Dortmund und Witten. Alles muss raus – auch die Mitarbeiter. Wenn Schnäppchenjäger auf Zukunftssorgen treffen.

Das Sortiment findet Gefallen. Zumindest bei der Dame und dem Herrn, die vermutlich ein junges Elternpaar abgeben. „Oh, wie süß: Elefanten“, sagt sie und zeigt auf ein Babyoberteil mit Rüsseltieraufdruck, während er bei den Herren-T-Shirts stöbert. „Ob die noch eins in XL haben?“ Zack, gefunden. „Schau mal“, sagt sie, „ein Töpfchen, das Musik spielt“. Für kleine Kinder und große Geschäfte. 19,99 statt 39,99 Euro. Und die Kinderknete erst. Drei statt sechs Euro. „Kannste nix verkehrt mit machen.“ Nee, kannste nicht. Am liebsten, so scheint es, würden die beiden im Rausch der Rabatte den ganzen Einkaufswagen vollmachen.

Sieben Filialen schließen in den kommenden Wochen

Am liebsten würden die Mitarbeiter im Real-Markt in Menden weiterhin sagen können, dass sie einen Job haben. Aber ihre Filiale gehört zu jenen sieben, von denen seit Januar bekannt ist, dass sie geschlossen werden, die in Menden bis Ende Mai. Weitere sind die in Hemer (Juni), Witten (Mai) und Dortmund-Aplerbeck (Juni). Der Standort Hagen-Bathey (Mai) wird zumindest als Marktkauf fortgeführt.

+++ Hagen: Drastische Rabatte - Ausverkauf bei Real in Bathey +++

Die Zerschlagung des Warenkonzerns, der 2019 vom russischen Finanzinvestor SCP übernommen wurde, geht damit weiter. Alles muss raus – bisweilen auch die Mitarbeiter. Besuch bei Real: Wo Schnäppchenjäger derzeit auf Zukunftssorgen treffen.

Letzter Öffnungstag in Menden: 28. Mai

„Je leerer die Regale werden, desto merkwürdiger fühlt sich das an“, sagt eine Mitarbeiterin der Mendener Filiale und lächelt dabei. Um sie herum: leere Regale. Wo mal Mikrowellen, Toaster, Kochplatten und Fritteusen standen, steht nichts mehr. Einen Gang weiter werden schon scheppernd Regale abgebaut.

15 Prozent auf Isolierkannen. 30 Prozent auf Kissen. 40 Prozent auf Ganzjahressteppdecken.

„Jetzt geht es noch. Wir freuen uns über jeden Tag, an dem wir die Kollegen noch sehen. Aber am letzten Tag wird es sich anders anfühlen“, sagt die Dame in der roten Real-Weste. Der letzte Tag wird Samstag, der 28. Mai sein. Dann wird nach Ladenschluss angestoßen und das Licht gelöscht.

30 Prozent auf Grabkerzen.

Mehr als 300 Mitarbeiter sind in der Region gekündigt

70 Mitarbeiter sind in Menden betroffen, 80 in Witten, 120 in Dortmund, in Hemer 60. Der Gesamtbetriebsrat hat einen Sozialplan ausgehandelt, es gibt Abfindungen. Wie es weitergeht, wissen viele trotzdem nicht, gerade jene zwischen 50 und 60.

Das Konzept des Eigentümers sei, „alle Real-Standorte an andere Unternehmen aus dem Lebensmitteleinzelhandel abzugeben“, teilt die Unternehmenskommunikation von Real auf Nachfrage mit. Das sei in der ganz überwiegenden Anzahl der ursprünglich 276 Märkte in Deutschland gelungen.

„Was die mit uns gemacht haben, war unterste Schublade“

Da allerdings eine unmittelbare Nachnutzung des Marktes nicht immer gegeben sei, weil bauliche oder konzeptionelle Veränderungen vorgesehen seien, lägen in Menden, Witten und Dortmund „die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang“ nicht vor.

+++ Menden: Warum andere Marken die Filiale nicht wollten +++

In Hemer habe eine Entscheidung des Bundeskartellamts Ende 2020 die Übernahme durch Kaufland untersagt. Nach weiteren Irrungen und Wirrungen verkündete Real im September erst die Schließung für Juni 2022, überbrachte dann im Januar die frohe Botschaft, dass es für die Mitarbeiter am Standort als Real weitergehe, ehe im März Gewissheit über das Aus herrschte. „Was die mit uns gemacht haben, ist unterste Schublade“, sagte damals die Hemeraner Betriebsratsvorsitzende Maren Munkenbeck. Die Entscheidung zur Schließung sei „immer erst nach eingehender Prüfung aller anderen Optionen getroffen“ worden, heißt es von Real.

Wie die Schnäppchenjäger mit dem Personal umgehen

Goldfieber in den Gängen: Grills, Gewürzhalter, Getränkekühler. Die Schilder schreien die Kunden in Signalfarben an: „Ständig neue Schnäppchen!“ - „Wir räumen unser Lager!“ - „Alles muss raus“.

Ein Mann mit Bauchtasche und Wadentätowierung schiebt seinen Wagen mit dem Alaska-Standventilator und T-Shirts zur Kasse. Hinter ihm ein rothaariger Typ: Mehrfachsteckdose, Wok-Pfanne 28 Zentimeter, Drucker-Papier weiß, Alaska-Tischventilator. „Nach was soll ich denn suchen“, fragt zwischen den Regalen eine junge Frau ihren Begleiter, der nur die Schultern zuckt.

„Gerade in den ersten Tagen war es krass“, sagt Bernd Beine, Marktchef in Menden, über den Ansturm nach Bekanntmachung des Ausverkaufs. Schnäppchenjäger seien eigens angereist. „Das Klientel ist anders als unsere Stammkundschaft“, sagt Beine: „Man kann nur den Kopf schütteln, wie manche mit meinen Mitarbeitern umgegangen sind, weil sie bei 30 Prozent Rabatt noch mehr forderten.“ Bis zum letzten Tag wird immer weiter rabattiert, bis möglichst alles weg ist. Der Laden habe schwarze Zahlen geschrieben. „Als das Aus verkündet wurde, ist uns erstmal die Kinnlade heruntergeklappt. Damit hatte keiner gerechnet.“

„Das Bangen ist zum Glück vorbei“

Seine Belegschaft verhielte sich bewundernswert, sagt er. Keine Krankmeldungen, manche verzichteten sogar auf Urlaub, um in den letzten Tage dabei zu sein. „Was soll ich jetzt den Kopf in den Sand stecken?“, sagt eine seine Mitarbeiterinnen, als sie von einem Kunden angesprochen wird: „Irgendwo öffnet sich immer eine neue Tür.“

Zumindest die Schiebetür in Hagen-Bathey öffnet sich weiterhin. Auch dort endet die Real-Ära zum Ende des Monats. 50 Prozent auf Herrenbekleidung, 30 Prozent auf Inlineskates. Zwei Männer unterhalten sich in der DVD-Abteilung auf englisch darüber, wo welche Produktliste ist. „Man kann fast nicht so schnell nachräumen, wie die Kunden kaufen“, sagt eine Mitarbeiterin zwischen zwei leeren Regalen. Sie und die anderen werden übernommen von Marktkauf.

Wie an allen anderen Standorten von Real ist auch in Hagen jahrelang gezittert worden, wie es weitergeht. „Das Bangen ist zum Glück vorbei“, sagt die Verkäuferin: Nun hat sie Gewissheit – und auch in Zukunft noch einen Job.

<<< HINTERGRUND: DAS SAGT VERDI >>>

Die Schließung der Real-Filialen verfolgt Monika Grothe aufmerksam. „Jeder, der das Geschehen bei Real mitverfolgt hat, hat das kommen sehen. Aber wenn ich überlege, wie lange die Beschäftigten im Unklaren waren, dann macht mich das traurig und wütend. Ich habe von vielen gehört, dass sie das mürbe gemacht hat“, sagt die Verdi-Gewerkschaftssekretärin. Immerhin: Mit Marktkauf übernehme in Hagen-Bathey ein tarifgebundenes Unternehmen, sagt sie.

Das sei ja das Grundproblem im Einzelhandel: der Wegfall der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge vor rund 20 Jahren. „Seitdem das so ist, gestalten Unternehmen und Betriebe im Einzelhandel den Wettbewerb nicht mehr über Qualität der Ware, sondern über Personalkosten: Wer bezahlt seine Mitarbeiter am schlechtesten?“ Verdi fordert seit Jahren eine Rückkehr zur alten Regelung