Siegen. . Die Feministin Alice Schwarzer sieht die Errungenschaften der Frauenbewegung aus den vergangenen vier Jahrzehnten in Gefahr.

Die Feministin und Publizistin Alice Schwarzer hat an der Uni Siegen dazu aufgerufen, bisherige Errungenschaften der Gleichberechtigung zu verteidigen: „Zur Zeit geht es weniger darum, weiterzugehen, sondern das Erreichte zu erhalten“, sagte die 75-Jährige vor gut 200 Zuhörerinnen im Audimax.

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Denn die Gleichberechtigung sei durchaus bedroht, die Gesellschaft könne jederzeit Rückschritte machen, Gesetze könnten geändert werden. Eingeladen hatte das Netzwerk Hochschulsekretariat, das die erste Veranstaltung „Frauen an der Universität Siegen“ ausrichtete.

Die Rednerin

Schwarzer ist öffentlichkeitserprobt, weiß zu fesseln, spricht anekdoten- und pointenreich, zieht lediglich Stichpunkte für ihre Anliegen heran. „Die Rede hätten sie auch für traditionelle Ehefrauen halten können“, gibt sie Kanzler Ulf Richter mit, der in seiner Begrüßung etwas gönnerhaft – eben patriarchalisch – Rolle und Bedeutung der Sekretärinnen für den Hochschulbetrieb herausgehoben hatte: „Wir würden unsere Ziele in Forschung und Lehre ohne Ihre fleißigen Hände und guten Ideen nicht erreichen“, so Richter, der ihr später einen Blumenstrauß überreichte. „So schenkt ein Mann einer Frau Blumen, gegenüber der er ein schlechtes Gewissen hat“, sagte Schwarzer grinsend.

Die Themen

Erfolge: Schwarzer zählte die Errungenschaften der Frauenbewegung auf. Rechtliche Gleichstellung. Uneingeschränkter Zugang zu Bildung und Beruf. „Theoretisch. 90 Prozent der Frauen gehen nach wie vor in die klassischen Frauenberufe, die sie besser mit der Familienarbeit vereinbaren können.“ Und: „Sie werden bezahlt, meine Damen.“

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Der Mann konnte vor 1976 für seine Gattin ihren Beruf kündigen, ohne sie überhaupt zu fragen – „das ist heute unvorstellbar, aber 40 Jahre sind nicht viel Zeit. Ein gewaltiger Fortschritt!“ In den vergangenen 40 Jahren sei man mit Siebenmeilenstiefeln vorangestürmt, der Feminismus sei in Welt und Gesellschaft eingegangen.

Der Stand der Dinge: Die Gefahr, zurückzufallen, sei allgegenwärtig. „Privilegierte haben noch nie freiwillig ihre Privilegien abgegeben“, so Schwarzer, und nach wie vor seien Männer strukturell privilegiert. Es gelte, erreichte Fortschritte zu sichern, unter anderem mit Blick auf die Geschichte. Sie selbst habe ihre Vorgängerinnen, etwa die 1831 geborene Hedwig Dohm, Anfang der 70er, als die Frauenbewegung ins Rollen kam, nicht gekannt. „So geht es allen Frauen in der Geschichte: Es geht über sie eine Welle hinweg und sie sind vergessen!“ Statt auf den Errungenschaften der Vorgängerinnen aufzubauen, habe jede Generation in ihrem Jahrhundert wieder bei Null anfangen müssen. Zudem kämen formale Veränderungen nicht so schnell in den Köpfen der Menschen an – Beispiel Führungsstärke: Bei Männern akzeptiert, durchsetzungsstarke Frauen gälten dagegen als „kalt“, als Biester. „Wir sind Generationen des Überganges“, so die 75-Jährige: „Wir sind noch nicht in der neuen Zeit angekommen, aber auch nicht mehr in der alten Zeit.“

Das Netzwerk Hochschulsekretariat

Das Netzwerk Hochschulsekretariat wurde vor vier Jahren als Interessensvertretung der Sekretärinnen der Universität Siegen – darunter ein Mann – gegründet. 1424 weibliche Beschäftigte arbeiten an der Uni – knapp 45 Prozent des Personals. Gleichstellungsbeauftragte Dr. Elisabeth Heinrich hatte seinerzeit von solchen Netzwerken an anderen Hochschulen berichtet.

Ziel des Netzwerks ist vor allem eine gerechte Entlohnung – „was wir noch nicht erreicht haben“, so Birgit Hoffmann. Weitere Themen sind Stellensplitting (wenn eine Sekretärin mit mehreren Viertelstellen für mehrere Dozenten arbeitet), steigende Anforderungen des Berufs, Weiterbildung oder personelle Übergänge in Vakanzzeiten.

Netzwerkvertreterin Sigrid Hübner wurde zur stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten der Uni gewählt, Susanne Müller und Susanne Schmidt sind Mitglieder des Senats. Zwei Mal im Jahr treffen sich die Sekretärinnen mit Kanzler Ulf Richter, um für ihre Anliegen einzutreten.

Die Veranstaltung gestern sollte auch dazu dienen, die Interessensvertretung bekannter zu machen – dazu ist die Einladung Alice Schwarzers gewiss keine schlechte Wahl. Außer ihrem Vortrag standen Workshops auf dem Programm, etwa zu Themen wie Teamarbeit, Stressbewältigung oder sicheres Auftreten.

Querelen: Schwarzer rief Feministinnen zur Geschlossenheit auf: Kritik verschiedener feministischer Strömungen müsse nicht immer öffentlich ausgetragen werden, die Gemeinsamkeiten überwögen bei allen Meinungsverschiedenheiten bei Weitem.

Selbstbewusstsein: Sie appellierte an die Frauen, sich auf sich selbst zu besinnen, statt vermeintlichen Schönheitsidealen nachzulaufen: „Trauen Sie sich, Sie haben nichts zu verlieren! Mit Anpassung haben Sie gute Chancen, in der Altersarmut zu landen.“ Man müsse nicht von allen geliebt werden, lieber aufrecht durchs Leben gehen – das imponiere den Männern. „Pfeift drauf, was die anderen denken. Es ist Euer Leben, tut, was Ihr wollt!“

Gender-Debatte: Eine verkopfte, elitäre, hochschulinterne Diskussion, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigehe.

Männer: Ein Drittel sei „auf unserer Seite, die haben selber keinen Bock mehr aufs klassische Mannsein. Ein Drittel ist opportunistisch, die warten ab und gucken, was passiert. Und ein Drittel sind einfach die Arschlöcher, die Macht- und Gewaltbereiten.“ Männer müssten eben lernen, mit ihrer veränderten Rolle umzugehen. „Und ich finde verunsicherte Männer auch ganz charmant“, sagte Schwarzer.

Geschlecht: Sie betonte, dass das Geschlecht in der Gesellschaft keine Rolle spielen solle und hob auf den Leitspruch der Uni – „Zukunft menschlich gestalten“ – ab: „Das wünsche ich mir.“ Man wolle ja nicht immer nur als Frau wahrgenommen werden.

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