Gevelsberg. Heinz Müller hat mit seinen 91 Jahren ein bewegtes Leben hinter sich – und appelliert an die aktuelle Generation, mehr am politischen Leben teilzuhaben.
Vieles, das im Verlaufe eines Menschenlebens leicht von der Hand geht, wird im Alter schwieriger. Erinnerungen verschwimmen, manche verschwinden sogar komplett aus dem Gedächtnis. Heinz Müller aus Gevelsberg geht es nicht so, der 91-Jährige weiß noch viel über sein bewegtes Leben – und blickt mit Bauchschmerzen in die Zukunft.
„Wir haben früher gesagt, dass der faschistische Sproß noch keimt. Das war nach dem Krieg. Jetzt kann man sagen, dass daraus schon ein Baum geworden ist“, sagt Müller mit Blick auf die aktuelle politische Entwicklung. Seit fast sieben Jahrzehnten ist er Mitglied in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), seine Werte und Ansichten sind entsprechend eindeutig. Müller spricht von Klassen, Bewegungen und Protest – denn wenn es nach ihm geht, hat ein einzelner nicht viel auszurichten. Es fehle an organisierten Bewegungen. „Man muss seine Interessen doch auch wahrnehmen. Dafür muss ich aber erst wissen, welcher Klasse ich angehöre“, sagt der bekennende Kommunist.
Müller spricht aus Erfahrung
„Abhängig beschäftigte“ nennt Müller die Personengruppe, die nach seinem Geschmack nicht ausreichend organisiert ist. Die Gründe dafür nennt er auch. 600 000 Menschen alleine in Nordrhein-Westfalen müssen neben ihrer eigentlichen Arbeit noch einen Nebenjob ausführen, so bleibt wenig Zeit und Lust sich nach dem Feierabend noch politisch zu engagieren. Dabei ist gerade das für Müller eines der wichtigsten Mittel, um sich der „sprießenden Bewegung von rechts“ entgegenzutreten. Politische Teilhabe, sagt er, ist das was es zu verteidigen gilt. Der Gevelsberger redet dabei aus Erfahrung, denn auch er wurde von rund 60 Jahren politisch verfolgt.
Damals. im Jahr 1956, kämpft er mit anderen Mitgliedern der KPD gegen das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands. Es kommt zu einer Hausdurchsuchung bei ihm und seiner Mutter, die Polizei stellt die ganze Wohnung auf den Kopf und nimmt alles mit, was als Beweismittel gegen den Verdacht der Staatsgefährung relevant sein könnte. Anstecker der FDJ, Flugblätter oder Liedbücher werden von der Polizei kassiert. Der Verdacht wird fallen gelassen, wenig später kommt es zur Neugründung der Partei unter einem leicht abgeänderten Namen.
„Gevelsberger Woche für Zivilcourage und gegen rechte Gewalt“
Müller ist aber auch abseits der Arbeit in und um die Partei aktiv gegen den damals immer noch in vielen Ämtern und Räten vorhandenen Faschismus. Im VVNBDA zum Beispiel engagiert er sich, heute noch nimmt er aktiv an der „Gevelsberger Woche für Zivilcourage und gegen rechte Gewalt“, zuletzt 2017 an einer Lesung. Wichtig, so führt Müller aus, ist es sich gemeinsam bemerkbar zu machen, „frei vom Klassendenken um den aufgekeimten Faschismus zu vernichten.“ Er findet klare Worte, seine Stimme erhebt sich merklich wenn es um dieses Thema geht.
Was nicht verwundert, schließlich hat er den 2. Weltkrieg noch am eigenen Leib miterlebt. Als 17-Jähriger musste er seine Lehre abbrechen und für Nazi-Deutschland zur Verteidigung der Front. Es ist eine Zeit, in der er sich mit seinen Kollegen ständig auf Rückzug befindet – bis zur Kapitulation ständig ist er in Bewegung. Eine Zeit, die er miterlebt hat, die er aber niemanden wünscht, auch zu erleben. „Jeder muss im Rahmen seines Könnens mitwirken, damit so etwas nicht wieder kommt“, sagt Heinz Müller. Es ist die volle Überzeugung, die aus dem 91-ihm spricht
Auch mit 91 Jahren fühlt er sich sicher
Er wünscht sich mehr Teilhabe, allein schon die Möglichkeiten zur Teilhabe fehlen ihn an manchen Stellen. Auch der Schule misst er einen wichtigen Teil bei, schließlich „ist Bildung der Schlüssel“, so Müller. Erinnerungen hielt er lange aufrecht, in dem Stadtrundfahrten durch Gevelsberg organisiert hat. Vorbei an den Punkten, an dem der Nationalsozialismus Juden aus Lokalen und Wohnungen vertrieb. „Das muss in den Köpfen bleiben“, sagt er und wünscht sich mehr Teilnahme gerade der jüngeren Generationen rund die Geschichte.
Bezüglich der Sicherheitsdebatte plädiert er mit Blick auf seine und die bundesdeutsche Vergangenheit auf mehr Verständnis. „Halunken“, so Müller, „gibt es so oder so. Ich jedenfalls habe keine Angst, wenn ich auf die Straße gehe.“ Diskussionen, die besagen dass die Sicherheit in Deutschland unter der Anzahl an Flüchtlingen für die Einheimischen leide, widerspricht er vehement. „Was passiert, wird in den Medien zu sehr aufgebauscht. Es fehlt an Objektivität, aber objektiv ist für jeden ja auch etwas anderes“, so das ehemalige Mitglied im Stadtrat. Für die Zukunft hat er neben der Gesundheit für sich und seine Frau vor allem einen Wunsch: „Organisiert euch und sagt, was euch nicht gefällt.“
Der Blick in die Vergangenheit soll dafür sorgen, dass es in der Zukunft kein Déjà-Vu mit eben dieser gibt.