Hagen. Ekkehard Meinecke hat in der Pflege 42 Jahre Berufserfahrung. In der Digitalisierung sieht er neue Möglichkeiten, aber auch Gefahren.

Ekkehard Meinecke kennt die Reizthemen rund um die Gesundheitspolitik und Pflegesituation seit Jahrzehnten: stetig steigende Kosten, immer weniger stationäre Behandlungen zugunsten der ambulanten Versorgung, permanenter Mangel an qualifiziertem Personal und damit viel zu wenig Menschlichkeit in der Pflege. Dazu ständige Bekenntnisse aus der Politik, dass jetzt aber wirklich alles besser werde. Diese verpuffen dann jedoch mal mehr, mal weniger effektfrei – je nach Nähe zu Wahlterminen.

Ekkehard Meinecke
Ekkehard Meinecke © Scholl

Als Geschäftsbereichsleiter für die Segmente Behinderten- und Jugendhilfe, schulische Bildung, ambulante Dienste und Spezialpflege mit 42 Jahren Berufserfahrung bei der Evangelischen Stiftung Volmarstein (ESV), unter deren Dach unter anderem das Evangelische Krankenhaus Haspe sowie das Altenpflegeheim auf dem Mops agieren, blickt der 63-Jährige durchaus kritisch, aber keineswegs desillusioniert auf die Zukunft einer Branche, die sich dem höchsten Gut des Menschen verschrieben hat – der Gesundheit. Seine These: Auch künftig werde diese Gesellschaft sich um ihre Alten und Kranken kümmern, allerdings immer technischer, immer spezialisierter und vielleicht sogar wieder mit mehr Empathie für Patienten und Anvertraute.

Fehlende Wertschätzung

Schon Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts seien ESV-Mitarbeiter mit VW-Bussen nach Frankfurt gefahren, um am Flughafen philippinische Mitarbeiter abzuholen, die vorrangig in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen die Personallücken stopfen sollten. Eine Entwicklung, die sich in seinen Augen wiederholen könnte, dann allerdings eher mit Kräften aus dem osteuropäischen Ausland. Ein wesentlicher Grund dafür: „Die Wertschätzung für die Beschäftigten im Krankenhausgeschehen, aber auch in der Altenpflege hat zuletzt abgenommen“, meint Meinecke.

Parallel habe sich die Lebensqualität ebenso wie die Erwartungen ans Leben verändert. „Menschen versuchen heute mit aller Macht, eine stationäre Pflegesituation zu vermeiden.“ Wenn sich dieser Schritt irgendwann nicht mehr vermeiden lässt, sind die Pflegenotwendigkeiten heute weitaus größer als noch vor Jahrzehnten. „Dementsprechend sind natürlich auch die Anforderungen an das Personal extrem gestiegen.“ Eine Tendenz, die sich fortsetzen werde.

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Ein ähnlicher Trend zeige sich angesichts der Finanzierung über Fallpauschalen auch in den Krankenhäusern, wo ein Hüftoperierter heute bereits nach drei Tagen wieder entlassen werde – vor 20 Jahren lag dieser Patient noch zwei Wochen auf Station. „Das ist eine gigantische Entwicklung, aber damit auch die Schlagzahl extrem hoch“, beschreibt Meinecke den zunehmenden Druck auf das medizinische Personal, der nur durch höchste Kompetenzen und optimierte Strukturen zu managen sei. Das sei auch in Zukunft nur durch hoch spezialisierte Kräfte noch zu stemmen. „Die examinierte Krankenschwester ist heute und in Zukunft fachlich so speziell, dass sie keinen Tisch mehr abwischt, kein Bett mehr macht oder Essen anreicht.“ An dieser Stelle würden zunehmend nachgeordnete, anders vergütete Dienstarten, so genannte Hol- und Bringdienste, zum Zuge kommen, um die Personalkosten im Griff zu behalten.

Ringen um die Arbeitskräfte

Die Zukunft habe die Kliniken längst erreicht, meint Meinecke. So würden die Krankenhäuser sich nicht nur massiv um Top-Ärzte bemühen, um die Patientenzahlen halten zu können, sondern das Ringen um die besten Kräfte hätte angesichts des Personalmangels längst auch die Ebene der Pfleger und Krankenschwestern erreicht. Zunehmend ließen sich diese bei Fremdfirmen anstellen, um dort auf Grundlage frei verhandelter Gehälter deutlich mehr Geld zu verdienen als tarifbezahlte Festangestellte in einem Krankenhausapparat.

„Die weitere Durchtaktung des Berufs wird dazu führen, dass die Pflege von Verwaltungsaufgaben abgekoppelt wird und verschiedene Formen der digitalisierten Hilfen zunehmen werden.“ Dazu, so Meinecke, gehöre künftig deutlich zunehmend auch die computerisierte Patientenbeobachtung. Damit müsse nicht mehr die Krankenschwester permanent die Geräte überwachen, sondern die Daten könnten bei Fachleuten auflaufen, die dann erst im tatsächlichen Bedarfsfall Personal losschicken. Das könne in der häuslichen Pflege sogar per Webcam und Internet-Verbindung laufen. „Da gibt es keine Grenzen.“ Das Spek­trum reiche von vollautomatischen Türöffnungssystemen über die automatische Lebensmittelbestellung auf Grundlage einer Kühlschrankbeobachtung bis hin zur volldigitalisierten Atemüberwachung. „Durch solche Assistenzen kann es sogar gelingen, dass wieder zusätzliche Spielräume für die empathischen Anteile der Pflege – also die Zwischenmenschlichkeit – entstehen“, prognostiziert der erfahrene ESV-Profi optimistisch.

Menschen dürfen in Wohnungen nicht vereinsamen

„Diese ganzen Entwicklungen dürfen natürlich nicht dazu führen, dass die Menschen in ihren Wohnungen vereinsamen. Das wäre eine Katastrophe“, sieht Meinecke natürlich auch die Gefahren einer zunehmenden Technisierung. Daher müsse dieser Prozess durch veränderte Wohnformen mit durchmischten sozialen Strukturen begleitet werden. „Denn Interaktionen zwischen den Generationen werden ein Teil unserer Lebensqualität bleiben.“

Dass diese Gesellschaft und damit die Politik auch künftig bereit sein wird, für die Gesundheits- und Pflegesysteme ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen, bezweifelt Meinecke derweil kaum: Die demografische Pyramide sei ausreichender Garant dafür, dass es immer genügend Wähler gibt, die genau dieser Gesundheitshilfen bedürfen.

Die Podcasts zu den Porträts gibt es auf der Seite von Radio Hagen.

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