Düsseldorf. . In Südwestfalen herrscht Vollbeschäftigung. Es droht sogar ein Fachkräftemangel. Christiane Schönefeld erklärt, was die Region besonders macht.

Der Arbeitsmarkt in Südwestfalen bietet viele Chancen, über 160 Weltmarktführer haben hier ihren Sitz und bieten interessante Jobs. Vollbeschäftigung, also eine Arbeitslosenquote um oder unter drei Prozent, ist in einigen Städten und Gemeinden zum Normalfall geworden. Allerdings wird der demographische Wandel in dieser Region früher sichtbar als in anderen Landesteilen.

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    2019 werden in Südwestfalen erstmals mehr Menschen aus dem Berufsleben in den Ruhestand wechseln als Berufseinsteiger nachrücken. Die WESTFALENPOST sprach mit Christiane Schönefeld über die Zukunft des Arbeitsmarktes in Südwestfalen. Schönefeld steht seit 2004 an der Spitze der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit mit Sitz in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Als Spitzenvertreterin befindet sie sich in engem Austausch mit Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Politik, wenn es um Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsfragen geht.

    Frau Schönefeld, wie steht der Arbeitsmarkt in Südwestfalen aus Ihrer Sicht da?

    Christiane Schönefeld: Zunächst, Südwestfalen hat einen guten Arbeitsmarkt. Für uns ist Südwestfalen immer die Region, wo wir Trends und Entwicklungen zuerst beobachten. Es ist wie ein Labor.

    Woran liegt das?

    Die Region ist stark durch verarbeitendes Gewerbe geprägt. Das bedeutet, dass sich beispielsweise konjunkturelle Schwierigkeiten immer zuerst in Südwestfalen zeigen. Das war in der Wirtschaftskrise so, als Kurzarbeit dort anfing. Wir haben, mit Ausläufern nach Hagen und Iserlohn, dort wirklich geübt, geschaut, wie entwickelt sich das? Was kann man tun?

    Und heute?

    Dasselbe würde ich heute sagen. Die demographische Entwicklung ist deutlich weiter als in anderen Regionen.

    Inwiefern?

    Wir haben hier tatsächlich bereits ein Fachkräftethema. In manchen Berufen überall. Wir sehen das auch am Ausbildungsmarkt.

    Ist es ein Fachkräftethema oder bereits ein Mangel?

    Ich scheue mich immer ein bisschen von Mangel zu sprechen, weil sich das auf einzelne Berufe konzentriert.

    Wonach bemisst sich denn Ihre Definition?

    Wenn die Zeiten immer länger werden, um eine Stelle zu besetzen. Beispielsweise ist in ganz Nordrhein-Westfalen die Relation Arbeitssuchende zu offenen Stellen 1:2, in Südwestfalen nur 1:1,3. An solchen Parametern kann man erkennen: Es wird langsam eng.

    Ist von den heimischen Unternehmen und den Städten und Gemeinden in der jüngeren Vergangenheit hier etwas versäumt worden?

    Nein, das würde ich nicht sagen. Ich würde eher sagen, dass wir in Südwestfalen eine gut funktionierende Wirtschaft haben. Wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit. Eigentlich läuft alles gut.

    Aber es geht nicht so weiter?

    Die Entwicklung, die wir in Südwestfalen sehen, wird woanders auch passieren. Das meine ich mit „Labor“. In Krisenzeiten und guten Zeiten ist hier einfach die Entwicklung schneller.

    Wie geht es weiter?

    Wir haben natürlich mit den Unternehmen die Diskussion über Infrastruktur. Beim Thema Öffentliches Verkehrsnetz, Autobahnanbindung und Breitbandausbau kann man sich sicherlich mehr vorstellen für die Region. Das glaube ich schon.

    Wer ist in der Verantwortung, Wirtschaft oder Staat – oder beide?

    Ich würde den Adressaten jetzt nicht benennen, aber gerade dann, wenn immer mehr digitalisiert wird, ist das ein zunehmend bedeutenderes Thema und auch ein Wirtschaftsfaktor.

    Gilt dies nicht überall?

    Es trifft nicht diese Region allein, aber ich meine, man muss hier schneller sein, weil die Entwicklung auch schneller ist.

    Wie viel Zeit hat Südwestfalen noch, auf die demographische Entwicklung zu reagieren, ohne dass es strukturelle Veränderungen gibt?

    In der Region gibt es viele Vorzeigeunternehmen. Ich will damit sagen, hier passiert eine ganze Menge. Es ist keine Region, die Entwicklung verschlafen hat. Die Unternehmen haben sich darauf eingestellt, sei es familienfreundlicher Betrieb, Anwerbung von Fachkräften – zumindest im europäischen Ausland und Internationalisierung im Unternehmen.

    Also, die Wirtschaft hat alles getan, was sie kann?

    Aus meiner Sicht ja. Es ist schon eine sehr gute Entwicklung, zu der ich sagen kann: Das ist vorbildlich.

    Wird sich also zwangsläufig strukturell auf dem Arbeitsmarkt in Südwestfalen etwas verändern durch diese begrenzenden Faktoren?

    Weil wir hier so viel verarbeitendes Gewerbe haben, gibt es hier auch eine ganze Reihe von Berufen, die substituiert, also in Teilen oder manchmal auch ganz durch Technik ersetzt werden können. Im Kreis Olpe beispielsweise sind es über 52 Prozent der Arbeitsplätze. Das ist zunächst eine erschreckende Zahl, wenn man sie an die Wand wirft. Doch ob man in den Berufen automatisiert und digitalisiert, ist immer noch die Frage! Aber wenn ich die Menschen für die Arbeit nicht finde, ist der Anreiz zu digitalisieren umso größer.

    Das heißt, umgekehrt ist dies eine Chance für Unternehmen, die Produktion am Standort zu erhalten?

    Ja. Und diese Chance ist groß.

    Das bedeutet, es werden in 20 Jahren einfach weniger Menschen in der Region arbeiten?

    Denkbar, ja. Es passt aber auch zur demografischen Entwicklung.

    Weder die Menschen in Südwestfalen noch Städte und Gemeinden möchten in einer menschenleeren Region leben. Ist Zuwanderung hier eine Chance?

    Ich glaube, es wird immer Menschen geben, die dort leben und arbeiten wollen. Weil es eine schöne Region ist, aber auch, weil es gute Firmen mit interessanten Jobs gibt. Das ist schon mal ein Kristallisationspunkt.

    Und Zuwanderung?

    Ich finde es gut, dass wir uns jetzt endlich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen. Das Beherrschen der Sprache ist ein wichtiges Kriterium und der Nachweis eines Arbeitsplatzes. Dann ist dies auch eine Chance für die Region.

    Noch einmal zurück zum Thema Ausbildung. Was kann Südwestfalen tun, um junge Leute aus angrenzenden Regionen zu begeistern? Gibt es noch ein Geheimrezept?

    Ich wüsste es nicht. Wir werden in NRW in den nächsten Jahren 20 Prozent der Fachkräfte verlieren, und sie kommen nicht nach.

    Sind junge Leute aus dem Ruhrgebiet, aus Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis wirklich nicht in den ländlicheren Raum zu bewegen?

    Ich sage es einmal so. Wir machen jetzt noch einmal ein Projekt. Wir nennen es „Mobil zum Ziel“. Wir haben es zusammen mit den Kammern entwickelt und mit sehr vielen Partnern überlegt, was man tun muss, damit ein Jugendlicher von Recklinghausen nach Siegen geht, um eine Ausbildung zu machen. Da gibt es eine ganz konkrete Partnerschaft. Das wird ausprobiert. Ich bin selbst jetzt wirklich mal gespannt, ob das funktioniert.

    Wann startet dieses Projekt?

    Jetzt. Wir haben mehrere solcher Partnerschaften gebildet, weil wir sagen, wir wollen noch einmal alles tun, um wirklich Jugendliche zu bewegen, nach Siegen zu gehen. Allerdings ist es häufig das Problem, dass die Jugendlichen, die die Unternehmen in Südwestfalen einstellen mögen, auch im Ruhrgebiet einen Ausbildungsplatz finden. Es ist also nicht nur der Jugendliche, der nicht will.

    Gibt es Chancen für Jugendliche, über zusätzliche Qualifizierungen eine Perspektive zu bekommen?

    Das Thema Qualifizierung bekommt eine ganz andere Bedeutung, nicht nur für Jugendliche. Es wird so sein, dass eine Ausbildung nicht mehr für ein ganzes Leben reicht. In diesem Kontext muss man sich auch anschauen, ob die Ausbildung noch so lang sein muss wie heute. Ich will auf keinen Fall an unsere duale Ausbildung. Das ist die Basis von allem. Aber muss ich wirklich am Anfang dreieinhalb Jahre lernen oder kann ich das nicht auch ein bisschen aufteilen? Wir brauchen genauso ein lebensbegleitendes Lernen. Dazu gibt es ja bereits einen Gesetzentwurf aus Berlin, damit sich dies jeder leisten kann. Das wird eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft sein.

    Beispielsweise die Versicherungswirtschaft. Da werden im Zuge der Digitalisierung ganz viele Arbeitsplätze wegfallen. Oder diejenigen, die heute im Unternehmen auf Helferniveau arbeiten. Es sind aber viel mehr zu qualifizieren als wir denken. Ein gutes Instrument für Menschen, die den zweiten oder dritten Start im leben machen, ist das Angebot auf Teilqualifizierung. Hier sind wir in NRW schon relativ weit. Und Südwestfalen ist hier eine fortschrittliche Region. Wir brauchen künftig beispielsweise immer mehr Menschen, die pflegen. Wir müssen uns fragen, ob es immer die bestausgebildetste Kraft sein muss, die alles kann. Oder müssen wir nicht anfangen Tätigkeiten wieder zu zerlegen?

    Werden die Menschen 2030 noch fünf Tage die Woche 35 bis 40 Stunden arbeiten?

    Das glaube ich schon. Die Frage ist nur, wo? Sie werden nicht mehr jeden Tag im Büro sitzen, sondern auch zuhause oder wo auch immer.

    Ist das für Südwestfalen gut?

    Es kann eine Chance sein, wenn Menschen hier nicht wohnen möchten, können sie zwei, drei Tage in der Woche dort arbeiten und den Rest von zuhause oder wo auch immer. Es wird dann auch andere Wohnformen geben.

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