Warstein/Lippstadt. Marina Schmitz* verschwand vor dem Cineplex Lippstadt. Niemand schien sie gesehen zu haben . . .

Leise fällt der Schnee zwischen die braunen Stängel auf den Senfacker. Seit Wochen liegt Esbeck im Dauerfrost. Dicke Eisflächen bedecken die Bürgersteige des kleinen Dorfes. Es ist ruhig hier. Nur eine kleine Ansiedlung von schicken Familienhäusern mit roten Ziegeln. In der Morgendunkelheit schiebt sich der Winterdienst orangeflackernd durch die Straßen.

Auf dem Senffeld rackert ein Bauer mit der Mähmaschine. Der Boden ist gefroren. Plötzlich ist da etwas, was nicht passt. Marina Schmitz*. Seit genau drei Wochen vermisst. Vereist. Tot.

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Es ist der 22. Januar 2009, als Olaf Schmitz* die Polizeidienststelle in Warstein betritt. Er meldet seine Frau als vermisst. Am 19. Januar waren die beiden von Belecke nach Lippstadt gefahren. Vor dem Cineplex hatte Olaf Schmitz seine Frau abgesetzt. Sie wollte sich dort mit Bekannten treffen, ihn anrufen, wenn er sie wieder abholen könnte. Vielleicht würde sie aber auch bei einer Freundin oder Arbeitskollegen übernachten. Sein Telefon sollte nicht klingeln.

Gerüchte schwirren durch die Stadt, war Eifersucht das Motiv?

Für Olaf Schmitz beginnt eine Odyssee. Mit Freunden fährt er immer wieder nach Lippstadt. In der Hand Vermisstenzettel mit dem Bild seiner Frau. Braune Rehaugen, gerötete Wangen. Die kurzen Haare fallen ihr in die Stirn. Um den Hals trägt sie eine filigrane Goldkette. Sie lächelt nicht.

Olaf Schmitz hängt Plakate auf, überall rund um das Kino. „Wer hat meine Frau gesehen?“

Wie berichten wir bei einem Mordfall?

Nur wenige Tage, bevor Marina Schmitz gefunden wurde, kam ihr Mann in die Redaktion der Westfalenpost. Ein Redakteur erinnert sich noch gut daran: „Er hatte darum gebeten, dass wir ihm bei der Suche nach seiner Frau helfen. Nach Rücksprache mit der Polizei haben wir das aber gelassen.“ Die Berichterstattung in Kriminalfällen, besonders wenn es sich um ein Tötungsdelikt handelt, ist immer eine sensible Angelegenheit und hängt oft auch mit den Ermittlungen zusammen.

Das Opfer darf nicht identifizierend dargestellt werden. Kein Bild, kein Name wird ohne die Erlaubnis der Polizei in der Zeitung erscheinen. Meist passiert dies nur, wenn die Person vermisst wird, wie in dem Fall Marina Schmitz. Hier ging es um Hinweise auf den Verbleib der Frau. Die Polizei war auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen, daher wurde das Bild von Marina Schmitz an die Öffentlichkeit gegeben, ebenso wie Eckdaten zu ihrer Persönlichkeit. Ist die Person gefunden, egal ob lebend oder nicht, wird sie nicht mehr in der Berichterstattung abgebildet oder verpixelt.

Für den Täter gilt dasselbe. Als Verdächtiger besteht die Unschuldsvermutung. So lange ein Gericht kein Urteil gefällt hat, darf die Berichterstattung nicht den Eindruck vermitteln, dass die Tat durch den Verdächtigen ausgeführt wurde. Auch seine Persönlichkeitsrechte sind durch die Redakteure zu schützen.

Die Polizei ermittelt jetzt. Zu den Arbeitskollegen, die sie angeblich treffen wollte, hatte Marina Schmitz seit Jahren keinen Kontakt. Die beste Freundin wusste nichts von einem Besuch. In Belecke schwirren leise aber vernehmlich Gerüchte durch die Straßen. Es ist eine kleine Stadt. Jeder kennt hier das Eheaar Schmitz . Die Westfalenpost berichtet. Die Marina, die sei doch „nicht so ohne“. Und das Motiv, kann das Eifersucht gewesen sein? War die Freundin des Bruders von Marina Schmitz nicht ermordet worden? Die Polizei weiß von den Gerüchten. Sie ermittelt. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dazu.

Immer noch fällt Schnee. In Belecke und Warstein geht das Salz aus. Die Straßen sind gefährlich glatt. Olaf Schmitz fährt trotzdem weiter nach Lippstadt. Sucht seine Frau.

Olaf Schmitz will, dass die Zeitungen berichten. Die Polizei widerspricht...

Am 7. Februar, neunzehn Tage nach Marina Schmitz’ Verschwinden, stiefelt ihr Mann in die Redaktion der Westfalenpost. Verzweifelt. Er will, dass die Redakteure berichten. Über das Verschwinden seiner Frau. Gegen die Gerüchte. Um seine Marina zu finden. Nach Rücksprache mit der Polizei entscheiden sich die Redakteure dagegen. Wegen der laufenden Ermittlungen.

Zwei Tage später findet der Bauer die Leiche von Marina Schmitz auf dem Senffeld in Esbeck.

„Auch der Tod kann unsere Liebe zueinander nicht trennen. Über den Tod hinaus werden unsere Seelen immer verbunden sein. Wir werden im Reich der Dunkelheit wieder zueinander finden. I.L.D.U.“

So steht es am 23. Februar 2009 in Marina Schmitz ’ Todesanzeige. Mit der Presse will Olaf Schmitz jetzt nicht mehr reden. Keine Hilfe. Er zieht weg aus Belecke. Sein Name steht nicht mehr im Telefonbuch.

2010 die erste vage Spur – die sich auch wieder verläuft

Die Obduktion stellt den Tod durch Gewalteinwirkung fest. Keine Hinweise auf eine Vergewaltigung. Mehr will die Polizei nicht sagen. Ein Kapitalverbrechen? Es fehlen ein Handy der Marke LG KP 130, eine goldene Halskette mit einem Sternzeichenanhänger des Zwillings. Ein Ehering mit drei Steinen. Eine Geldbörse. Die Polizei hält sich bedeckt. Die Mordkommission ermittelt. Hinweise gehen kaum ein. „Dürftig“, sagt Oberstaatsanwalt Rürüp aus Paderborn damals.

Am 19. Januar 2009 setzt Olaf Schmitz seine Frau vor dem Cineplex in Lippstadt ab. Drinnen riecht es nach Popcorn. Draußen sind die Bürgersteige sauber und der Platz weitläufig. Hier soll Marina Schmitz verschwunden sein.
Am 19. Januar 2009 setzt Olaf Schmitz seine Frau vor dem Cineplex in Lippstadt ab. Drinnen riecht es nach Popcorn. Draußen sind die Bürgersteige sauber und der Platz weitläufig. Hier soll Marina Schmitz verschwunden sein. © Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services

2010 die erste vage Spur auf einen Tatort, einen Täter. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft aus Arnsberg zuständig. Ein Zeichen, dass der Täter aus dieser Region kommt? Auch diese Spur verläuft sich.

Wieder ein Jahr später stößt Produzentin Ina-Maria Reize auf den Fall. Sie arbeitet für Aktenzeichen XY. „Das ist ein außerordentlich verwickelter Fall, der viele Rätsel aufgibt“, sagt sie. Sie verfilmt den Fall mit Schauspielern, spricht mit der Polizei. Am 12. Januar 2011 wird die Sendung ausgestrahlt. Titel: „Die Tote im Senffeld“. Die Staatsanwaltschaft erhofft sich einen neuen Schub. Im März dann die Ernüchterung. Keiner der Hinweise bringt neue Erkenntnisse. Es werden noch einige DNA-Proben geprüft.

Am 13. Januar 2012 die Meldung: Die Akte wird vorerst geschlossen. Geöffnet wird sie nicht mehr.

*Richtiger Name der Redaktion bekannt