Hagen. Die “MehralsnurWP“-Crew trifft NRW-Umweltminister Johannes Remmel. Sie erfährt, warum er kein Elektroauto fährt und mit einem iPhone 4 arbeitet.
- In Sachen E-Mobilität geht es NRW-Umweltminister Johannes Remmel zu langsam. Er fordert ein Gesetz wie in Kalifornien
- Er selbst fährt noch kein Elektroauto, weil die Akku-Reichweiten zu gering sind
- Zulieferern in Südwestfalen rät er, mehr Druck auf die Hersteller auszuüben
Glühendes Abendrot und Fragen zur Zukunft Südwestfalens: Im 10. Stock des NRW-Umweltministeriums kam an diesem Abend beides zusammen. NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) stellte sich den Fragen der Studenten Sandra Wahle (23), Lennart Klauke (23) und Konstantin Pape (22). Das Interview ist Teil des Zukunftsprojektes „Mehr als nur WP“. Begleitet wurden die Studenten von WP-Chefredakteur Dr. Jost Lübben und dem stellvertretenden Chefredakteur Torsten Berninghaus.
Ihr Dienstwagen ist kein Elektroauto...
Minister Remmel:Früher als Abgeordneter bin ich mit dem Zug von Siegen nach Düsseldorf gefahren. Aber heute brauche ich als Minister ein rollendes Büro. Das fährt noch nicht elektrisch, weil für meine Aufgaben die Reichweite noch nicht groß genug ist. Aber ich möchte schon bald Elektro- oder Wasserstofffahrzeuge stärker testen.
Sie fordern, dass ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden. Das sind nur noch 14 Jahre. Warum so eine Eile?
Wenn wir die Klimaziele von Paris und bessere Luft in den Innenstädten erreichen wollen, müssen die Autos emissionsfrei werden. Das braucht einen Vorlauf. Autos laufen in der Regel zehn bis 15 Jahre. Deshalb muss man 15 und 20 Jahre vorher anfangen, um in den Markt zu kommen. Es dauert sieben Jahre, bis ein Auto konstruiert, geplant und marktfähig ist. Ich beobachte, dass um uns herum viel in Bewegung ist - nur in Deutschland, das Land der Automobilhersteller, viel zu wenig.
Was schlagen Sie vor?
Ein ähnliches Gesetz wie in Kalifornien. Dort müssen Autohersteller zur Zeit drei Prozent ihrer Fahrzeuge emissionsfrei produzieren. Wer das nicht realisiert, zahlt eine Umlage an andere Hersteller, die mehr als 3 Prozent anbieten. In den USA profitiert derzeit Tesla. Ohne diesen Druck schaffen wir die Markteinführung nicht, weil der deutsche Markt bisher zu sehr auf Premiumprodukte setzt. Elektroautos müssen deutlich günstiger werden.
Elektroautos benötigten kein Getriebe aus Aluminium. Was raten Sie den Zulieferern in Südwestfalen?
Gerade die Automobilzulieferer sind ganz wichtig für unseren Standort. Daher liegt es im Eigeninteresse, Klarheit über die Produktpolitik der Hersteller zu haben. Sie sollten Druck auf die großen Hersteller ausüben, um endlich ein Umdenken in Richtung emissionsfreie Autos zu bewirken. Wir leben gerade in diesem Bereich vom Export. Die Megamärkte in China, Indien und Amerika geben den Takt vor. Dort werden kleine und elektrisch betriebene Wagen gebraucht. Die Hersteller und die Zulieferer müssen umdenken, um die Arbeitsplätze der Branche in Südwestfalen nachhaltig zu sichern. Bei uns müssen die Lösungen für die Zukunft entwickelt und gebaut werden.
Trauen Sie der Branche selbst nicht?
Wenn wir das Vertrauen in die Automobilindustrie hätten, bräuchten wir es politisch nicht zu diskutieren. Es ist keine Frage der Technik oder der Infrastruktur, sondern der Fähigkeit, die Probleme der Zukunft zu erkennen und zu lösen. Wenn es gewollt wäre, hätten wir innerhalb eines Jahres Schnellladestationen an jeder Ecke.
Johannes Remmel telefoniert noch mit einem iPhone 4
Die Welt dreht sich immer schneller und Sie haben noch ein iPhone 4.
Ja, deshalb werde ich manchmal ausgelacht. 1998 habe ich mein erstes Handy bekommen. Bis dahin bin ich auf der Fahrt von Siegen nach Düsseldorf für wichtige Gespräche an einem Bahnhof ausgestiegen, um mit einer Telefonkarte zu telefonieren. Ich weiß gar nicht, wie ich meinen Job heute ohne Handy erledigen könnte. Die Menschen sind auch ungeduldiger. Früher wurden Briefe geschrieben und heute verlangen die Menschen sofort eine Antwort auf eine Email.
Stichwort Windkraft: Glauben Sie nicht, dass die Akzeptanz bei den Bürgern größer wäre, wenn die Kommunen mehr Spielraum hätten?
Wir befinden uns in einer Gewöhnungsphase. Im Münsterland wurden diese Diskussionen vor über zehn Jahren auch ähnlich geführt. Erneuerbare Energie kann man nach 20 Jahren wieder abbauen, wenn ein Standort nicht richtig gewählt ist. Die Braunkohlelöcher haben wir ewig, bei den Atomkraftwerke wissen wir bis heute nicht, wohin mit dem Müll. Derzeit liefern die NRW-Kohlekraftwerke 27000 Megawatt Leistung, der Windenergiezubau liegt bei 500 Megawatt, wir müssen also zulegen. Wenn wir die Erneuerbaren nicht stärker ausbauen, laufen wir Gefahr, ein Energieimportland zu werden. 12 Prozent unseres Stroms in NRW stammt aus erneuerbaren Quellen - der Bundesdurchschnitt liegt bei über 30 Prozent. Und die Wärmeversorgung und Mobilität sind noch gar nicht mitgerechnet, die sollen ja auch noch erneuerbar werden.
NRW-Umweltminister zum Weiterbau der B7n
Ich brauche für drei Kilometer auf der B7 zwischen Bestwig und Olsberg manchmal 45 Minuten. Die B7n wird aber nicht weitergebaut wegen einer Wildkatze und einer seltenen Vogelart, die dort gefunden wurde. Werden die Interessen der Menschen untergeordnet?
Das ist eine sehr zugespitzte Sichtweise. Beim Artenschutz geht es immer um den Erhalt von zusammenhängenden Lebensräumen. 45 Prozent unserer Pflanzen und Tiere stehen auf der Roten Liste. Wir sind dabei, die Festplatte unserer Erde zu löschen. Das ist nicht nur das nette Tierlein oder die eine Pflanze, die da verloren geht. Das ist letztendlich unsere Lebensgrundlage. Woran man das merkt? Früher musste man auf langen Autofahrten im Sommer anhalten, um die Scheibe zu reinigen, weil darauf so viele Insekten klebten. Das muss man heute nicht mehr. Heute ist circa 80 Prozent der Insektenmassen verschwunden. Die sorgen allerdings für die Bestäubung. Ohne Wildbienen und bestimmte Insekten kann unsere Ernährung nicht funktionieren. Wir befinden uns in einem massiven Veränderungsprozess. Wir können nicht Afrika und Südamerika auffordern, ihren Regenwald wegen der Artenvielfalt zu schützen, aber selbst nichts tun.
Ist das ein Erziehungsproblem? Weil keiner mehr weiß, was die Natur zu bieten hat?
Viele Kinder waren noch nie im Wald . Einmal den Waldlehrpfad zu besuchen reicht auch nicht. Nur wer das ganze Öko-System versteht, kann es wertschätzen. Das läuft unter dem Fachbegriff: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Das gehört in die Schule. Die klassische humanistische Bildung reicht nicht aus, um die Probleme unserer Zeit zu erfassen. Das humanistische Ideal beruht auf der Annahme: Ich muss nur genug Wissen vermitteln, dann versteht man die Welt. Heute ist das Wissen überall im Netz abrufbar. Deshalb müssen wir auch mehr Lösungskompetenzen vermitteln, um komplexe Systeme zu erfassen, und um zu lernen, wie man damit umgeht.
Remmel würde Vergleich zwischen Wisent-Verein und Waldbauern begrüßen
In Dülmen wurden Wildpferde ausgesetzt, in Wittgenstein Wisente. Sind weitere Aussiedlungen geplant? Im Sauerland gab es bezüglich der Wisente ja auch Proteste.
Das Wisent-Projekt wurde aus der Region heraus entwickelt und wir begleiten es. Der Wisent in Europa war nahezu ausgestorben. Er lebt normalerweise in großen Herden von bis zu 1000 Tieren. Das wird es bei uns natürlich nicht geben. Es bleibt ein begrenztes Artenschutzprojekt, bei dem der Mensch immer eingreifen muss. Vor allem um die genetische Vielfalt zu gewähren. Deshalb wird auch der Bulle irgendwann aus der Herde genommen, da er keinen Nachwuchs mit seinem eigenen Nachwuchs machen soll.
Wie sehen sie das Projekt?
Die Vorstellung, dass das größte Säugetier Europas wieder frei lebt in einem der größten, zusammenhängenden Lebensräume Nordrhein-Westfalens übt eine Faszination aus.
Waldbauern sehen das anders...
Die Waldbauern kann ich auch gut verstehen. Wildschäden müssen daher erstattet werden. Auch deshalb findet zur Zeit eine juristische Klärung satt: Sind Wisente wild oder nicht? Sind ihre Schäden wie die von Rehen und Hirschen zu betrachten? Die Frage ist, ob das in einem Vergleich geklärt werden kann. Wir würden das jedenfalls sehr begrüßen
Bei Familie Remmel kommt kein gespritzter Tannenbaum ins Haus
Weihnachtsbäume und Monokulturen – Gibt es überhaupt noch echten Wald?
Im Januar ist Kyrill zehn Jahre her. Da hat sich gezeigt, dass Monokulturen dem Sturm nicht widerstanden haben. Wir beraten deshalb in Richtung “klimaplastische Wälder“, durchmischte Wälder, die sich selbst verjüngen. Den Fehler der Monokulturen dürfen wir nicht wiederholen.
Seit Kyrill gibt es aber auch größere Tannenbaumplantagen!
Ja, das Landschaftsbild hat sich in den letzten zehn Jahren verändert. Da gibt es massive Beschwerden in der Region, da die Tannenbaumkulturen auch gespritzt werden und oft bis an die Privatgärten reichen. Mit den Anbauern sind wir im Gespräch. Wir haben Vereinbarungen darüber getroffen, mit weniger Pflanzenschutzmittel auszukommen und die Menge zu halbieren. In drei Jahren wird sich zeigen, ob das gewirkt hat. Öko-Weihnachtsbäume sind aufwändiger, weil der Setzling in der frühen Phase leicht überwuchert werden kann.
Ist Ihr Tannenbaum gespritzt?
Ich gehe nicht davon aus, denn ich muss jedes Jahr die Grashalme aus der Tanne zupfen. Traditionell fahre ich mit meiner Tochter in den Wald und wir schlagen dort unseren eigenen Baum bei einem heimischen Waldbauern. Ein schönes Angebot.