Hagen. . Es ist gefährlicher geworden, Jude in Deutschland zu sein. “Schauderhafte Schockwellen von Antisemitismus“ hat Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden beobachtet. Hagay Feldheim, der Vorsitzende der Hagener Gemeinde und seine Frau erzählen von neuem Hass seit dem Gaza-Krieg.

Die Polizei fährt wieder öfter an der Synagoge vorbei. Und doch hören Hagay Feldheim, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hagen, und seine Frau Eva fast jede Nacht aus dieser Richtung Sprechchöre, Rufe, Pöbeleien. „Jude, Jude, feiges Schwein“ und ähnliches. Natürlich macht das Angst. Und so offen die beiden auch reden - fotografieren lassen wollen sie sich nur so, dass ihre Gesichter nicht zu erkennen sind.

Offenbar ist es wieder gefährlich, Jude in Deutschland zu sein. „Schauderhafte Schockwellen von Antisemitismus“ hat Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, seit Beginn des Gaza-Krieges ausgemacht. In der Nachbarschaft gab es den Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal. Und direkt vor der Tür eine Demonstration gegen Israel, bei der über ein Polizei-Megafon „Kindermörder Israel“ skandiert wurde. Nicht „Kindermörder Juden“. Nur das wäre antisemitisch und verboten, meinen die Behörden.

Sie fühlen sich allein

Die Feldheims wollen der Polizei keine Vorwürfe machen. Aber sie sehen Hass, der nicht nur den Soldaten gilt, sondern ihnen. „Damit müssen wir umgehen“, sagt Eva Feldheim, die ihren Mann in einem Kibbuz in Israel kennenlernte. 1992 folgte er ihr in ihre Heimat Hagen. Aber in der fühlt sie sich zunehmend allein gelassen: „Die meisten Menschen nehmen an solcher Hetze keinen Anstoß. Man findet das nicht wirklich problematisch. Es fehlt wohl die Vorstellungskraft, wie es sich anfühlt, zu einem Volk zu gehören, das unsere Erfahrungen gemacht hat.“ Immerhin fünf Hagener hätten sich gemeldet und gesagt: „Wir fühlen mit Ihnen.“ „Mutbürger“ nennt die Lehrerin sie.

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Und ihr Mann, der Vorbeter der 280 Mitglieder zählenden Gemeinde, die bis nach Arnsberg und Siegen reicht, betont: „Die Vernünftigen sind nicht über Nacht ausgestorben.“ Doch der Enthusiasmus, mit dem er angefangen hat, mit dem er hoffte, aufklären und Menschen ändern zu können, hat gelitten. „Wenn Leute fragten, ob es stimme, dass in allen Synagogen Waffen gelagert würden, habe ich sie eingeladen, nachzuschauen. Aber heute habe ich den Eindruck, dass Vorurteile sehr schwer zu bekämpfen sind.“

Antisemitismus als Normalfall - "Unsere Leute haben Angst“ 

Seine Frau erlebt das an der Schule: „Dass die Juden zu mächtig seien, ist auch unter den sogenannten Bio-Deutschen eine gängige Meinung. Und unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist ein aggressiver Antisemitismus der Normalfall.“ Die Feldheims gehen dagegen an. Sie sind engagiert im Projekt „Abraham & Co“, das christliche, muslimische und jüdische junge Leute zusammenbringt. Eva Feldheim zitiert einen 16-jährigen Muslim, der erstaunt, verwirrt und stolz berichtet, er habe soeben zum ersten Mal aus der Wasserflasche eines Juden getrunken. „Das war die meines Sohnes“, erzählt sie gerührt.

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Und nun dieser Rückschlag. Viel schlimmer und schriller als bei früheren Kriegen zwischen Israel und Palästinensern. Warum jetzt? „Das ist auch ein Ventil für andere Sachen“, meint der Gemeindevorsitzende. Da habe sich etwas aufgestaut. Ein Gefühl der Ohnmacht in der arabischen Welt, die Lage in Syrien und im Irak. Dazu Ferien, Langeweile, das Ende der WM: „Da werden Volkshormone freigelassen.“ Und dann die Bilder: „Wir sehen die toten Kinder von Gaza und nicht das zynische Kalkül der Hamas, die sich hinter ihnen versteckten. Dass die Menschen in Tel Aviv andauernd von Raketen bedroht sind, abgeschossen von Leuten, die alle Juden vernichten wollen, das sieht weniger dramatisch aus.“

Juden in Deutschland werden für jede israelische Aktion verantwortlich gemacht. Und für alles andere auch. Im Zweifel steckt immer eine jüdische Weltverschwörung dahinter. Das ist nichts Neues. „Wer erkennbar als Jude über die Straße geht, beispielsweise eine Kippa trägt, musste immer schon mit einem Angriff rechnen“, sagt Feldheim. „Jetzt ist das wesentlich häufiger geworden. Unsere Leute haben Angst.“ Sie fragen ihn, ob man als Jude weiter hier leben könne. Er bemüht sich dann um Beruhigung und Rationalität. Aber sehr besorgt ist er auch: „Ich fürchte, dass alles, was wir über Jahre erreicht haben, jetzt kaputt geht.“