Winterberg. . Wenn der alte Förster erzählt: Bereits kurz hinter der Quelle hat die Ruhr das Leben der Menschen bestimmt, und die Wirtschaft prägte wieder Landschaft. Der erste Teil unserer Sommerserie beginnt am Ursprung.
Eindrucksvoll geht anders. Das hier ist eher ein zögerliches Rinnen als ein kräftiges Fließen. Ein Gedenkstein, ein Rohr, ein Rondell aus den 1950ern, später restauriert und renaturiert. Hier also entspringt der Namensgeber für das größte Industriegebiet Deutschlands? Offensichtlich. „Ruhrquelle“ steht auf den Schildern, die den immer zahlreicher werdenden Besuchern den Weg weisen, die den Rothaarsteig bewandern, sich auf den Ruhrtal-Radweg oder den Ruhr-Höhenweg machen und hier ein Foto schießen und ihre Trinkflaschen füllen.
Tatsächlich entspringt das Bächlein ein Stückchen höher, mitten im Wald, in sumpfigem Gelände auf dem Ruhrkopf. Deshalb wurde 1849 der zugänglichere Ort gewählt. Zwischen Grönebach und Elkeringhausen, an der Straße zwischen Niedersfeld und Küstelberg, grob gesprochen: in Winterberg, beginnt deshalb unsere Geschichte. Friedrich Opes, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins, und der frühere Förster Hubert Koch können sie erzählen.
Nur zum Ursprung des Namens wollen sie sich nicht festlegen. Nach der gängigsten Erklärung geht der Name Ruhr auf das griechische Wort fließen (rhei) zurück , das auch in Rhein und Rhone auftaucht, während andere Forscher indogermanische Wurzeln vermuten. Doch dass das Ruhrgebiet heute Ruhrgebiet heißt, folgt daraus nicht zwangsläufig. „Hier oben ist die Ruhr nur einer von tausend Bächen aus dem regenreichen Sauerland“, sagt Opes.
Welcher Bach als Ursprung eines Flusses gilt, ist geregelt: der längste. „Bloß gab es vor 1832, als die Preußen begannen, ein Kataster zu erstellen, keine genaue Vermessung“, gibt Hubert Koch zu bedenken. „Der Name stand aber schon fest.“ Deshalb ist es müßig, aber durchaus amüsant, darüber zu spekulieren, ob die Hille oder die Neger nicht länger ist und das Ruhrgebiet also eigentlich Negergebiet heißen müsste. Und was ist mit dem Neger-Zufluss Namenlose? Hätte der als Namensgeber getaugt? „Es gab damals sowieso viele Missverständnisse, weil die Preußen das Sauerländer Platt schlecht verstanden“, berichtet der 79-jährige Koch, der als Sohn und Enkel eines Försters in Niedersfeld aufgewachsen ist.
Wirtschaftliche Bedürfnisse prägen die Natur
Die Bedeutung der Ruhr allerdings, die auf den ersten paar hundert Metern schwer zu verfolgen ist, weil sie sich fast verborgen durch die Wiesen schlängelt, hängt nicht vom Namen ab, und sie wird auch im Hochsauerland schon früh deutlich: „Drei Kilometer hinter der Quelle stand die erste Mühle“, erzählt Koch.
Nach sechs Kilometern, in Niedersfeld, steht immer noch eine, die Schleimer Mühle. Im 16. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, wird sie seit 1992 in fünfter Generation von Werner Schleimer geführt. Eine Turbine ersetzt seit 1934 das Wasserrad, Getreide wird mangels Anbau in der Nachbarschaft kaum gemahlen, und der Müller lebt mehr vom Gemischtwarenhandel. Aber wenn er montags um 15 Uhr zur Besichtigung lädt (Eintritt 1,25 Euro) schafft Schleimer den Brückenschlag zwischen damals und heute. Bloß ein reiner Ruhr-Müller ist der 54-Jährige nicht: Die Schleimer Mühle wird von Hille und Ruhr gespeist.
Zurück zur Quelle. Licht und luftig ist es hier. „Früher stand man im dichten Nadelwald“, erinnert sich Koch. Ursprünglich wuchsen Buchen. „Die wurden abgeholzt, weil zur Eisenverhüttung Holzkohle benötigt wurde“, berichtet der Förster. Insofern sei auch fürs Sauerland die Entdeckung der Steinkohle ein Segen gewesen.
Wirtschaftliche Bedürfnisse prägen die Natur. Gründlich hat sich Hubert Koch mit den Talwiesen beschäftigt. Die sind keinesfalls naturgegeben. Einst regierte zwischen Erlen, Birken und vielarmigen Wasserzügen der Biber. Erst im 19. Jahrhundert bekamen die Flächen Bedeutung für die Landwirtschaft. Das Wurzelwerk wurde entfernt, um Abzugsgräben anlegen zu können, die mäandernde Ruhr in ein Bett gezwungen, Genossenschaften organisierten die Bewässerung. „Die Hochblüte der Wiesenkultur währte von 1850 bis 1950“, berichtet Koch.
Rein in die Fichten und raus
Für Mäh- und Heumaschinen und erst recht Traktoren waren später die Wassergräben hinderlich, die Genossenschaften gingen ein. Koch: „Ihre Bauwerke verschwanden, die Gräben verflachten, Staustufen und Wehre wurden Opfer der Frühjahrshochwasser.“ Es gab neue Arbeitsplätze, Landwirte gaben auf, aus vielen Wiesen wurden Fichtenforste - „mit staatlicher Förderung“, betont der Naturexperte. Heute würden die Fichtenbestände beseitigt - erneut mit staatlichen Mitteln. Wiesen werden allerdings nur durch landwirtschaftliche Nutzung daraus, ansonsten würde das Gelände allmählich versumpfen.
So oder so - die Ruhr sei und bleibe prägend: „Eigentlich sind wir im Sauerland ja das eigentliche Ruhrgebiet.“