Arnsberg/Hagen.

Matjes soll es geben. Ilse Sandrock holt ihn vom Markt. Mit dem Rollator geht sie los, den Hang von der Ringstraße hinunter, dann wieder hinauf bis in die Arnsberger Altstadt. Erdbeeren bringt sie von dort auch noch mit.

Die 91-Jährige, ältestes Mitglied der Wohngemeinschaft, ist zuständig fürs Einkaufen, zumindest der Kleinigkeiten. Gemüse putzen dagegen, Kartoffeln schälen, „das geht nicht mehr“, sagt sie und zeigt ihre steifen Finger. Das übernimmt Martha Borkheim; sie hilft gern in der Küche.

Jeder hat sein eigenes Zimmer

Was sie tun können, das erledigen die acht Mieter der Erdgeschosswohnung selbst. Ganz allein zu Hause, das aber schaffen sie nicht mehr. Manche von ihnen sind zu gebrechlich, andere an Demenz erkrankt. Und so wohnen sie hier in der Senioren-WG zusammen, rund um die Uhr betreut und gepflegt von der Sozialstation der Arnsberger Caritas.

Jeder Mitbewohner hat sein eigenes Zimmer, mit eigenen Möbeln, Fernseher und Telefon. Vier Bäder gibt es für die acht Leute, dazu eine gemeinsame Küche und ein Wohnzimmer. „Es ist gut hier“, sagt Ilse Sandrock. Sie kenne andere Einrichtungen für Senioren, fügt sie andeutungsvoll hinzu. Sie sitzt dabei in einem tiefen, weichen Plüschsessel. An der Wand ein gesticktes Bild aus der Zeit, als man die hübsche dunkelhaarige Frau darauf noch „Zigeunerin“ nennen durfte. Eine gute Stube, wie man sie noch von der eigenen Oma kennt.

Den Alltag wie zu Hause leben – das gilt als Vorzug der Senioren-WGs. Nicht nur deshalb wollen Bund und Land diese Alternative zum Heim fördern. Seit eineinhalb Jahren schießt Berlin 2500 Euro pro Bewohner für den altengerechten Umbau einer Wohnung hinzu. Seit mehr als einem Jahr arbeitet man in Düsseldorf zudem an einer Gesetzesreform, will die bisher strengen Auflagen für solche Wohngemeinschaften lockern.

Wenn diese Reform durch ist, erhofft sich Sabine Matzke vom Landesbüro für innovative Wohnformen einen kleinen Gründungsboom. Allein, das Gesetzgebungsverfahren stockt. So kann Andrea Schaafstall, Leiterin der Arnsberger Caritas-Sozialstation, bisher keinen großen Zuwachs bei den Wohngemeinschaften im Hochsauerland feststellen. Die Nachfrage aber werde bald steigen, weil sich auch im Sauerland die familiären Strukturen veränderten, mehr Frauen berufstätig seien und nicht auf die Eltern und Schwiegereltern achtgeben könnten, glaubt sie.

Individuelle Betreuung ist gefordert

Damit beim Ausbau die Wünsche der Pflegebedürftigen nicht auf der Strecke bleiben, fordert Ute Kenyon mehr Weiterbildungsangebote für die Kräfte, die die Senioren in den WGs betreuen. Sie studiert berufsbegleitend an der Universität Witten/Herdecke im multiprofessionellen Masterstudiengang „Versorgung von Menschen mit Demenz“ und hat gemeinsam mit Gabriele Meissner sowie Katharina Ziegenbart Demenz-Wohngemeinschaften untersucht.

Ihre Beobachtung: In der Praxis, kritisiert Kenyon, verwischen gelegentlich die Unterschiede zu großen Seniorenheimen. So würden auch in mancher WG „starre Aktivitätenprogramme aufgestellt“ mit Stuhlkreis, Singen und Gedächtnisspielen. Diese kollektive Bespaßung statt einer individuellen Betreuung – oder alltäglicher Arbeiten, die fit halten – das ist es vor allem, was sie in mancher Einrichtung stört. Zudem werde bei den Möbeln in einigen Häusern zu sehr darauf geachtet, dass sie leicht zu reinigen sind. Ein plüschiges Wohnzimmer, wie in Arnsberg, gibt es nicht überall.

Doch wenn es gut läuft in der Senioren-WG, dann können Menschen, die das auch wollen, ihren Mitbewohnern näher sein als im großen Heim, glaubt Andrea Schaafstall. „Hier“, ist Ilse Sandrock überzeugt, „hat man einfach mehr Unterhaltung.“