Hagen. . Selbst Englands U-Boote stechen mit Batterien aus Hagen in See zur U-Boot-Schlacht. Der erste deutsche Stahlhelm M16 wird in Schwerte entwickelt und produziert.

1914 ist das Schicksalsjahr Europas. Der Erste Weltkrieg wird zum Weltenbrand, nach Kriegsende ist nichts mehr wie zuvor. Doch wie haben die Menschen in Südwestfalen die Katastrophe erlebt? Diese Frage ist nicht zuletzt in wirtschaftsgeschichtlicher Sicht interessant. Denn die metallverarbeitenden Betriebe von Hagen bis Siegen waren ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der Rüstungsproduktion beschäftigt. „Fast jede Fabrik hat irgendwelche Rüstungsgüter produziert, nur lässt sich das nicht in dem Umfang beschreiben wie für den Zweiten Weltkrieg“, analysiert Dr. Ralf Blank, Historiker, Archäologe und Leiter der historischen Museen und Archive in Hagen.

In Hohenlimburg wurden Bombenteile hergestellt, in Altena und Lüdenscheid vermutlich Leichtmetall- und Aluminiumteile, die in Luftschiffen und Flugzeugen gebraucht wurden. Metallplatten für Panzer und Kriegsschiffe kamen aus Südwestfalen. Viele Fotos zeigen Arbeiter beim Granatendrehen.

In der Heimat wird gehungert

Der Erste Weltkrieg war organisatorisch in vielen Bereichen keine Meisterleistung. An der sogenannten Heimatfront wurde rasch die schwierige Versorgungslage spürbar; es gab kein Konzept für die Ernährung der Bevölkerung, weil die Heeresleitung in ihrer Siegesgewissheit nicht davon ausgegangen war, dass der Krieg sich lange hinziehen oder sogar verloren gehen könnte.

An der Front hingegen merkten die Soldaten rasch, dass man mit den altmodischen ledernen Pickelhauben, die zur Ausrüstung gehörten, zwar den Räuber Hotzenplotz erschrecken konnte, dass diese Kopfbedeckung aber in den modernen industriellen Schlachten keinen Schutz boten. Vor allem die Zahl der fast immer tödlichen Kopfverletzungen durch Granatsplitter stieg so rapide, dass die Vereinigten Nickelwerke in Schwerte einen Auftrag zur Entwicklung und Produktion des ersten deutschen Stahlhelms M16 erhielten.

„Die Annahme, dass die Menschen damals mit großer Begeisterung in den Krieg gezogen seien, ist längst widerlegt“, berichtet Ralf Blank. „Die Bürger waren bedrückt und wussten nicht, was auf sie zukommt, als der Krieg begann. Die einzelne Wahrnehmung war abhängig von der Erziehung, der sozialen Schicht und dem persönlichen Kritikvermögen. Mit zunehmender Dauer des Krieges werden ab 1916 die Schwierigkeiten an der ,Heimatfront’ größer, es herrscht Hunger, schon vor dem Waffenstillstand gibt es Proteste gegen die schlechte Versorgungslage.“

Geplanter Luftangriff scheitert

Aber auch die Industrie wollte den Krieg nicht. Diese These belegt der Historiker am Beispiel der Akkumulatorenfabrik Hagen. Die AFA, Vorläufer der Varta, war bereits vor 1914 ein international operierendes Unternehmen, das Batterien herstellte. Zur Unternehmensgeschichte sind viele Dokumente und Fotos erhalten. Noch im Sommer 1913 hatte die AFA einen Freundschaftsvertrag mit der britischen Konkurrenz geschlossen, wonach sich beide Firmen den Weltmarkt untereinander aufteilten. „Es ging um U-Boot-Batterien, die wurden weltweit von Hagen aus angeboten. 1914 hatten die Briten einen großen U-Boot-Auftrag von der Royal Navy erhalten, den sie nicht alleine bewältigen konnten. So wurde eine große Zahl von Gummikästen für Batterien in Hagen geordert, deren Qualität auch den britischen Produkten überlegen war“, schildert Dr. Blank. Im Ergebnis ist mindestens ein britisches U-Boot mit Hagener Batteriekästen in die Schlacht gegen Deutschland in See gestochen.

„Die AFA stand vor dem Ersten Weltkrieg durch die neuartige Elektrotechnik für die Utopie einer besseren Welt“, so Blank. Nach 1914 und einem für beide Seiten verlustreichen U-Bootkrieg stand sie für Zerstörung und Tod made in Germany.

Deswegen gab es in England schon 1916 Pläne, das Hagener Unternehmen zu bombardieren, die spannenden Unterlagen entdeckte Blank im britischen Staatsarchiv in London. Doch diese Pläne eines Luftangriffes auf Hagen scheiterten, da die Technik bis zum Kriegsende für Langstreckenflüge und gegen in einem schwierigen Terrain gelegene Ziele noch nicht weit genug war.

Pickelhauben, Kampfgas, erste Panzer, riesige Zeppeline und zimmergroße U-Boot-Batterien: Der erste Weltkrieg ist mittlerweile sehr weit weg. Blank: „Er ist so historisiert wie der 30-jährige Krieg, er gehört für die meisten Menschen längst zur geschichtlichen Ferne. Das hat auch etwas mit Zeitzeugen zu tun, die inzwischen fehlen, die sind die Erinnerungsbrücken.“

Daher hat die Forschung es schwer, die regionale Alltags- und Industriegeschichte der Kriegszeit aufzuarbeiten. „Es gibt viele Bereiche, die noch gar nicht fassbar sind“, so Blank. Auf der anderen Seite kann man sich dank zahlreicher Briefe, Feldpostkarten, Tagebücher und Fotos ein recht genaues Bild vom Grauen auf den Schlachtfeldern und von den Entbehrungen in der Heimat machen. Blank: „Für mich und bezogen auf Hagen bedeutet 1914 das Ende einer Ära und der Niedergang einer Stadt. Von der Stadt Hagen, die vor 1914 durch ihre Unternehmen und ihre blühende Kultur eine der prosperierenden Deutschlands war, ist nach 1918 nicht mehr viel übrig geblieben.“

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