Hagen. . Ob vorehelicher Sex, Verhütung oder Homosexualität - die katholische Kirchenlehre entspricht in vielen Punkten nicht mehr dem gelebten Alltag der Gläubigen. Eine Umfrage wirft die Frage auf: Wie kann die Botschaft von Ehe und Familie besser vermittelt werden?

Allein die Tatsache, dass der Papst eine Umfrage zu Sex und Ehe unter den Katholiken auf der Welt in Auftrag gegeben hat, galt im Herbst als Sensation. Jüngst blühten Spekulationen, dass die deutschen Resultate wegen ihres Sprengkraft-Potenzials unter Verschluss gehalten werden könnten. Seit Montag weiß Deutschland aber schwarz auf weiß, was seine Katholiken von vorehelichem Geschlechtsverkehr, Pille-Verbot und dem Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten halten, denn die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte die Ergebnisse der Vatikan-Umfrage in den Diözesen.

Veränderungen des Familienbegriffs

Die Antworten zu „Fragen der pastoralen Herausforderung der Familie im Kontext der Evangelisierung“ sind ernüchternd: Auch engagierte Katholiken leben in einer Parallelrealität, weil sie den Lehren der Kirche angesichts der fundamentalen Veränderungen und Pluralisierungen des Familienbegriffs nicht folgen wollen oder sie einfach nicht mehr verstehen. Zum Beispiel: „Viele Aspekte der kirchlichen Sexualmoral – insbesondere die Aussagen des Lehramtes hinsichtlich der Kontrazeptionsmethoden (Verhütungsmittel) und der außerehelichen Sexualität werden von einer Mehrheit der Gläubigen nicht verstanden bzw. nicht geteilt“, heißt es in dem Papier. Verhütung würde von den Katholiken mehrheitlich nicht als Sünde betrachtet. Abtreibungen allerdings lehnen die meisten ab.

Die Mehrheit betrachtet es zudem als ein Gebot der Gerechtigkeit, homosexuelle Lebensgemeinschaften rechtlich anzuerkennen und Homosexuelle zu respektieren. Eine Öffnung des Rechtsinstituts Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wird dagegen überwiegend abgelehnt.

Verbitterung in Sachen Scheidung und Wiederheirat

Die Konsequenzen von Scheidung und Wiederheirat sind der empfindlichste Punkt in der Umfrage. Hier ist die Verbitterung über die kirchliche Lehre besonders groß, die geradezu als unbarmherzig betrachtet wird. „Auch die getrennt Lebenden und die wiederverheirateten Geschiedenen sind zu einem selbstverständlichen Teil der pastoralen Realität in Deutschland geworden“, konstatieren die Bischöfe. In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden. Sehr viel besser sieht die Statistik bei den Katholiken nicht aus.

Schon die Fragen sind harter Theologen-Stoff: „Wie leben die Getauften ihre irreguläre Situation?“, so heißt es zum Beispiel unter Punkt 4 zu getrennt lebenden und wiederverheirateten Geschiedenen. Die Antwort lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Getauften erleben ihre Situation nicht als eine irreguläre. Die Bezeichnung ,regulär’ und ,irregulär’ werden von den Menschen in diesem Zusammenhang sogar deutlich abgelehnt, weil sie als ausgrenzend und diskriminierend empfunden werden, gerade den Familien gegenüber, die sowieso schon mit erschwerten Lebensbedingungen konfrontiert sind.“

Großer Leidensdruck

Für viele in den Gemeinden engagierten wiederverheirateten Paare entstehe ein großer Leidensdruck. Sie fühlten sich durch den Ausschluss von den Sakramenten, aber auch durch den Ausschluss von gewissen Diensten und Ämtern diskriminiert und ausgegrenzt“, heißt es. Noch erschreckender ist folgendes Umfrage-Ergebnis: „Scheidung und Wiederheirat leiten oft einen Prozess der Distanzierung von der Kirche ein oder vergrößern die bereits bestehende Distanz zur Kirche. Mit einer Institution, die sie als ablehnend erfahren, möchten viele nichts mehr zu tun haben.“

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Der kirchenrechtliche Ausschluss von den Sakramenten werde von den Betroffenen als „ungerechtfertigte Diskriminierung und Unbarmherzigkeit“ empfunden. Das wird besonders schmerzlich dann erfahren, wenn die eigenen Kinder Erstkommunion feiern. „Nicht selten führt dieser Ausschluss zu einem Abbruch der Eucharistiegemeinschaft der Kinder, denen das elterliche Vorbild gelebter Eucharistiegemeinschaft fehlt.“

Die Bischofskonferenz sucht in der Konsequenz nach neuen Ansätzen für die Ehe- und Sexualmoral. Ein „Neuansatz“ bei der Beurteilung des Scheiterns menschlicher Beziehungen sei notwendig.