Werl.. Die Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl wehren sich gegen die Darstellungen eines Nachrichtenmagazins, es gebe regen Drogenkonsum und -handel innerhalb der Gefängnismauern. Trotzdem stellt der Anstaltsleiter klar: “Der Knast wird niemals drogenfrei.“
Das Synonym für Sommerloch heißt in diesen Tagen Werl. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte über Drogen im dortigen Knast berichtet. Ein Dauerbrenner in nachrichtenarmen Zeiten, eben eine Sommerloch-Geschichte, wie der Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA), Michael Skirl, und Gefängnisarzt Joe Bausch meinen.
Drogen im Knast. Ist das nicht so spektakulär und neu wie Eis auf Grönland? Wir sitzen im Dienstzimmer des JVA-Chefs, an einem massiven Eichentisch, gefertigt in der anstaltseigenen Schreinerei. Man könnte annehmen, dass Skirl und Bausch fast vom Stuhl gefallen sind, als sie in dem Hamburger Magazin die Lebensbeichte eines langjährigen Werler Häftlings (siehe rechts) lasen. Unter der Überschrift „Die Birne dicht“ berichtet der Mann über eine schwere Drogensucht und den regen Handel innerhalb der JVA: „Wenn du auf Zack bist, ist es leicht, an das Zeug zu kommen.“ Seine Abrechnung gipfelt in den Sätzen: „Die Anstalt hätte mir längstens einen Riegel vorschieben müssen, was meine Geschäfte angeht. Es war doch offensichtlich, dass ich konsumiere.“
Guantanamo ist kein Vorbild
Der Knast - ein Schlaraffenland für Drogenabhängige? Michael Skirl nimmt einen Schluck Kaffee und schaut einen Moment über den Rand seiner Brille. „Fast die Hälfte der Häftlinge in den NRW-Gefängnissen ist drogenabhängig“, sagt er, „aber es herrscht bestimmt kein reger Handel innerhalb der Mauern.“ Skirl hält nichts von dramatisierenden Schilderungen, möchte Realismus in die Diskussion bringen und kann sich da nur dem Appell von Joe Bausch in dessen Buch „Knast“ anschließen: „Wir sollten uns getrost von der Illusion verabschieden, dass der Knast jemals ein drogenfreier Raum werden könnte“. Der Mediziner ist ein freundlicher Mensch, für einen Moment redet er sich in Rage, blickt kurz so mürrisch wie der Pathologe Dr. Joseph Roth, den er im WDR-Tatort spielt: „Wenn es schon nicht funktioniert, einen Schulhof drogenfrei zu halten, wie soll das dann im Knast gehen?“
Michael Skirl nickt. Eine nahezu drogenfreie Haftanstalt erreiche man nur, wenn man Verhältnisse wie im US-Gefangenenlager Guantanamo habe. „Das will der Rechtsstaat nicht.“ Man müsse sich vor Augen führen, dass ein großer Teil der Insassen bereits vor der Verurteilung drogenabhängig war. „Sie geben ihre Defizite nicht an der Außenpforte ab“, sagt er. Und Mediziner Bausch fügt hinzu: „Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit. Zu denken, Menschen kommen in die JVA und sagen ,Ich höre auf’, ist vermessen.“
Die synthetische Droge Subutex (Wirkstoff: Buprenorphin) hat sich zum häufigsten Suchtmittel im Knast entwickelt. „Subutex soll wacher machen, muss nicht gespritzt werden und kann nur drei bis fünf Tage nachgewiesen werden“, so der JVA-Arzt. Es wurden Häftlinge überführt, die verschriebene Magenkapseln auseinander genommen und Subutex hineingepackt hatten. Bei der Vielzahl an verordneten Medikamenten ein kaum zu kontrollierendes Versteck.
Der Preis ist hoch
Und doch: Die regelmäßigen Kontrollen in Hafträumen und bei Insassen (Urinproben) zeigen Wirkung: „Ich habe jede Woche zwei bis vier Arrestvorführungen für überführte Gefangene“, sagt Bausch. „Das zeigt, das wir etwas tun.“ Es kommt immer wieder vor, dass ihm Patienten von einer Grippe berichten - und er schnell merkt, „dass sie einen Affen schieben“. Will heißen: Sie zeigen Entzugserscheinungen. Auch ein Beleg dafür, dass es nun doch nicht so einfach sei, in der JVA an den Stoff zu kommen.
Es blüht kein reger Drogen-Handel in der JVA Werl, sagen Bausch und Skirl. „Warum ist der Preis für Drogen im Gefängnis um ein Vielfaches höher als draußen, wenn man hier angeblich so gut herankommt?“, fragt Michael Skirl, der von einer „Verknappung an Drogen“ spricht. Auch durch Therapien. Eine stationäre Drogentherapie bei einem freien Träger oder in einer Klinik des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe versuchen bis zu 70 Gefangene pro Jahr.
Methadon ist ein Ausweg
Joe Bausch versorgt täglich 140 Häftlinge mit dem Drogenersatzstoff Methadon. „Es ist kein Allheilmittel, aber ein Ausweg für Schwerstabhängige“, sagt der 60-Jährige, der von sich behaupten kann, der Arzt in NRW zu sein, der die meisten Methadon-Patienten behandelt. „Sinn und Zweck ist es“, ergänzt Michael Skirl, „diesen kranken Menschen zu ermöglichen, eine halbwegs normale Tagesstruktur zu haben. Dass sie nachts schlafen und am Tag arbeiten können zum Beispiel.“
Drogen im Knast. Für Joe Bausch kein Grund für „Populismus“, wie etwa der immer wiederkehrende Vorschlag zur Eindämmung der Suchtproblematik im Knast - einfach die Zahl der Drogenspürhunde in Gefängnissen zu erhöhen. Der Arzt verzieht die Augen. Drogen-„Kommissar Rex“ am „Tatort“ JVA. Auch so eine Sommerloch-Geschichte.