Meschede. . Kurz nach 8 Uhr morgens kommt ihr erster anzüglicher Anruf. Danach verteilen sich ihre Telefonate über den ganzen Tag, bis in den Abend hinein. Fast täglich kommt obszöne Post hinzu. Und drei-, viermal in der Woche schaut die Frau frühmorgens persönlich im Garten von Pfarrer Michael Hammerschmidt vorbei. Sie hinterlässt dann gerne zum Beispiel Maiskolben mit Präservativen. Immer hat es einen sexuellen Bezug.
Elfeinhalb Jahre geht das schon so. So lange wird der katholische Pfarrer in Meschede-Freienohl belästigt und verfolgt. Es ist der Fall einer Stalkerin, bei dem der Rechtsstaat offenbar an seine Grenzen gelangt. Denn dauerhaft bekommt Hammerschmidt keinen Schutz vor der Frau. Sie hält Verbote nicht ein. Sie ist voll schuldfähig, hat ein Gericht bescheinigt. „Dieses ständige Gefühl“, sagt Hammerschmidt: „Da kommt jemand und dringt in deine Lebenswelt ein, zwingt dir etwas auf, was du nicht willst. Du schaltest nie richtig ab.“
Auflagen werden missachtet
Nach Informationen unserer Zeitung ist die heute 69 Jahre alte Frau inzwischen untergetaucht. Ihre gegenwärtige Adresse ist nicht bekannt. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen das, aus Datenschutzgründen, weder bestätigen noch dementieren. Öffentlich fahnden dürfen sie auch nicht nach ihr: Dafür ist der Fall, anders als zum Beispiel bei jemandem, der am Geldautomaten mit einer gestohlenen Karte Geld abhebt, strafrechtlich zu unbedeutend. Ebenfalls nach unseren Informationen steht vor dem Mescheder Amtsgericht noch ein nächstes Verfahren wegen Nachstellung an. Die Frau missachtet weiterhin Auflagen, sich dem Pfarrer weder nähern noch ihn kontaktieren zu dürfen. Sie tut es einfach weiter.
Auslöser für die Nachstellungen scheint eine Sterbebegleitung gewesen zu sein, zu der Hammerschmidt 2001 gerufen wurde. Damals war auch die Frau dabei. Es kam heraus, dass sie früher ein Opfer von Missbrauch gewesen ist. Stellvertretend für diesen Täter, erinnert sich der Pfarrer, habe ihm die Frau gesagt, „solle jetzt er dafür büßen“. Anfangs begann die Frau, den Geistlichen schwärmerisch zu umgarnen, dann kippte das um auf sexuelle Belästigungen – bis hin zu Nackt-Auftritten auf seinem Grundstück. Hammerschmidt informierte von Anfang an seinen Personaldezernenten und die Behörden: „Polizei und Justizbehörden haben mir immer geholfen.“ Zu Beginn galt er sogar als attentatsgefährdet. Er hatte früher immer Pfefferspray in der Tasche.
Der Pfarrer wurde während der langen Belästigungszeit selbst zum Rechtsexperten. Er musste sich zum Beispiel belehren lassen, dass laut Strafgesetzbuch nur Männer Exhibitionismus betreiben können. Für Frauen gilt dieser Paragraf nicht. Muss gerade ein Geistlicher nicht noch mehr Verständnis für einen kranken Menschen zeigen? „Nein. Auch ein persönlicher Schicksalsschlag berechtigt niemanden, andere dafür zu bestrafen“, sagt Hammerschmidt: „Hier gelangen wir an die Grenzen von Toleranz und Freiheit.“ Ihm ist auch geraten worden, einfach wegzuziehen. Das wird der Pfarrer nicht tun. „Das kann es doch nicht sein: Das Opfer muss abhauen und der Täter darf bleiben? Man löst keine Probleme durch Flucht.“ Zumal, da ist der 58-Jährige sicher, ihm die Frau nachfolgen würde.
Vier Aktenordner hat Hammerschmidt mit seinem Fall gefüllt. Ein wenig fatalistisch sagt er: „Diese Nachstellung scheint wie eine unheilbare Krankheit zu sein. Wer sie hat, der hat sie.“ Was er bei sich spürt, sind gesundheitliche Auswirkungen: „Es geht Lebenskraft und Lebensfreude verloren.“
Während unseres Gesprächs klingelt das Telefon. 18.30 Uhr. „Das ist sie“, sagt er mit Blick auf einen unbekannten Anrufer. Als er sich meldet, sagt die Frau: „Ich liebe dich!“ „Mehr nicht?“, entgegnet der Pfarrer sarkastisch. Da beginnt die Frau, derbe von ihren sexuellen Vorlieben zu sprechen. Hammerschmidt legt auf. Die Belästigungen gehen weiter.