Dortmund/Meschede. Immer öfter verschwinden Autofahrer nach einem Crash, ohne den Schaden zu regulieren. Die Polizei im Sauerland setzt auf moderne Spurensicherungs-Technik und Appelle an mögliche Zeugen.

Die Zahl der Unfallfluchten ist in NRW erstmals seit fünf Jahren leicht rückläufig. Nach einer Statistik, die der WAZ Mediengruppe vorliegt, wurden bis November rund 3,8 Prozent weniger Delikte gezählt. Gleichzeitig sank aber auch die Aufklärungsquote – 2012 wurden deutlich weniger Fälle aufgeklärt, als in den vergangenen Jahren. Um diesem Trend entgegenzuwirken setzt die Polizei jetzt verstärkt auf Zeugen-Kampagnen und moderne Spurensicherungstechnik.

Ein Fall nagt immer noch an Polizeihauptkommissar Helmut Brinkmann. Vor vier Jahren war im sauerländischen Brilon ein Fahrradfahrer von einem Auto angefahren worden – der Radler starb, der Autofahrer floh. „Wir haben monatelang ermittelt, ohne Erfolg“, ärgert sich der Leiter des Verkehrskommissariats des Hochsauerlandkreises noch heute. Was die schweren Unfälle mit Flucht angeht, ist dies einer der ganz wenigen unaufgeklärten Fälle.

Den Polizeialltag hingegen bestimmen Parkplatzrempler. „Sie machen bei uns im Sauerland den Großteil der rund 1200 Fälle pro Jahr aus“, berichtet Brinkmann. Und sie bleiben immer öfter auch unaufgeklärt. Im Hochsauerlandkreis sank die Aufklärungsquote der Verkehrsunfallfluchten im vergangenen Jahr (bis November) von 44,2 auf 42,5 Prozent. Ähnliche Zahlen melden auch andere Polizeibehörden im Land. In Nordrhein-Westfalen ging die Quote (Stand November) nach unserer Zeitung vorliegenden Zahlen auf insgesamt 45,47 Prozent zurück.

Unrechtsbewusstsein nicht sehr groß

Für Opfer der Unfallfluchten ist der angerichtete Schaden höchst ärgerlich. Sie bleiben auf den Kosten sitzen, die oft einige tausend Euro ausmachen können. Das Unrechtsbewusstsein der Autofahrer, die nach einem Zusammenstoß fliehen, ist offenbar nicht besonders groß. Viele halten es für ein Kavaliersdelikt – tatsächlich ist es aber eine Straftat, die oft mit Führerscheinentzug geahndet wird.

„Als Ausrede hören wir immer wieder: Ich habe das nicht gemerkt, ich habe gar nichts gehört“, sagt Dieter Horn, Unfallflucht-Experte beim Verkehrskommissariat in Meschede. Dabei weiß er, dass das Quatsch ist. „Ich habe an einer Fortbildung teilgenommen, bei der wir mit Schrottautos leichte Unfälle verursacht haben“, berichtet Horn. „Und ich habe dabei selbst erfahren: Man merkt sogar den leisesten Anstoß.“

Kuriose Unfallfluchten

  • Das ist der Klassiker der „kuriosen“ Unfallflucht: Neujahr hatte in Meschede ein Autofahrer ein Verkehrsschild umgefahren und war geflohen. Dumm nur: Bei dem Unfall hatte er sein Nummernschild verloren. Das führte die Polizei schnell zum Verursacher. In ähnlichen Fällen verloren die Verursacher Firmenschilder.
  • Ganz anders in Neuenrade. Dort krachte ein in England zugelassener Citroën-Bus auf einen bremsenden Toyota. Nach dem Crash stiegen vier Chinesen aus dem Bus aus und boten zur Schadensregulierung 100 Euro an. Als der geschädigte Autofahrer ablehnte, stiegen die Chinesen in den Bus und flohen.
  • In Burghausen im Landkreis Altötting prallte eine 82-Jährige gegen ein parkendes Auto. Sie stieg aus und fragte: „War ich das?“ – Als ihr dies bestätigt wurde, stieg die Seniorin wieder ins Auto und brauste davon.
  • Nicht aufhalten lassen wollte sich ein Unfallfahrer in Kirchlengern. Damit er nicht fliehen konnte, setzte sich eine 44-jährige Zeugin auf die Motorhaube des Autos. Das hinderte den Fahrer nicht, 300 Meter weit mit der Frau auf der Haube zu fahren, ehe sie absprang. Dann floh der Mann. Er wurde wenig später gefasst.

Landesweit bemüht sich die Polizei mit verschiedensten Mitteln darum, die Aufklärungsquote zu verbessern. Im Sauerland fährt die Polizei jetzt zweigleisig. Mit einer Plakataktion wirbt sie auf großen Parkplätzen von Einkaufsmärkten um die Aufmerksamkeit von Zeugen. „Schauen sie nicht weg!“, appelliert die Polizei dort. Zeugen sollen sich Kennzeichen notieren und die Polizei informieren.

Spurensicherung mit "Spurfix"

Zeitgleich hat die Polizei im Hochsauerlandkreis die Spurensicherung aufgerüstet. Seit neuestem sind die Beamten mit einer „Spurfix“-Folie am Unfallort – so, wie man es von den „SpuSis“ aus dem TV-Mordfall kennt. Das Werkzeug soll bald allen Polizeibehörden im Land zur Verfügung stehen.

Die Folie wird auf die Schrammen oder Beule am Auto gelegt – kleinste Lackpartikel und andere Teilchen bleiben daran kleben. Unter einem hochauflösenden Mikroskop können entsprechend geschulte Beamte schnell Hinweise auf den Unfallablauf erkennen – beispielsweise, welche Farbe das „gegnerische“ Fahrzeug hatte. Gibt es Hinweise auf den Verursacher, kann mit Hilfe von Folie und Mikroskop auch schnell verglichen werden, ob die Partikel identisch sind. „Erfahrungen von Kollegen, beispielsweise aus dem Kreis Olpe, sind sehr positiv“, berichtet Helmut Brinkmann.

Die neue Spurfixfolie brachte – zumindest indirekt – auch schon den ersten Aufklärungserfolg. Als vor wenigen Tagen eine Autofahrerin bei der Polizei auftauchte und eine Unfallflucht anzeigen wollte, wurden die Beamten skeptisch. „Der Schaden deutete auf einen Alleinunfall hin“, erinnert sich Brinkmann. Als die Polizei der Autofahrerin zeigten, dass an der Spurfix-Folie typische Steinkratzer und mineralische Elemente gefunden wurden, machte die Frau einen Rückzieher. Ein Familienangehöriger war gegen eine Mauer gefahren. . .