Hagen. . Der Hagener Oberbürgermeister Jörg Dehm gerät wegen der Beratervertragsaffäre immer mehr unter Druck: Die Staatsanwaltschaft ließ seine Büros durchsuchen.

Quo vadis, Hagen? 1,2 Milliarden Euro Schulden, Millionen-Verluste aus Derivat-Spekulationen, ein Haushaltssicherungsplan, der gerade erst von der Arnsberger Kommunalaufsicht der Stadtspitze um die Ohren gehauen wurde, ein beschämender Spitzenplatz im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes und ein amtierender Oberbürgermeister Jörg Dehm, gegen den ebenso wie gegen seinen Vertreter, den Ersten Beigeordneten Dr. Christian Schmidt, ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue läuft. Vorläufiger Höhepunkt der nicht abreißen wollenden Kette Hagener Peinlichkeiten: Die Hagener Staatsanwaltschaft hat gestern in der Beratervertragsaffäre Dehm/Schmidt sämtliche Büros sowie die Privatwohnungen der verdächtigen Spitzenbeamten durchsucht, um weitere Unterlagen und Beweise sicherzustellen.

Nur zur Einordnung: Niemand im Hagener Rathaus geht aktuell davon aus, dass Oberbürgermeister Dehm und sein Dezernenten-Kollege Schmidt auf der Anklagebank landen – möglicherweise werden am Ende Strafbefehle das Verfahren beenden. Doch die Affäre wirkt vor allem symbolisch in die Seelenwelt der Hagener Bürgerschaft hinein. Als der aus Mülheim zugereiste Dehm, dessen Familie gar nicht erst mit an die Volme zog, zu Beginn seiner Legislaturperiode auch die Führung der Hagener Wirtschaftsförderung zur Chefsache erklärte, musste Schmidt dort den Geschäftsführer-Sessel unwillig räumen. Ein Job, der ihm pro Jahr immerhin zu seinem stattlichen B6-Jahresgehalt (94.400 Euro) ein Extra-Salär von 6000 Euro (also exakt das abführungsfreie Limit der NRW-Nebentätigkeitsverordnung) plus eine Aufwandspauschale von 5300 Euro bescherte, über deren Verwendung über Jahre jegliche Einzelnachweise fehlen.

Ein Trostpflaster

Als Trostpflaster für entgangene Einnahmen wies Dehm im Sinne einer Abfindung seinem Ersten Beigeordneten stattdessen einen Beratervertrag für EU-Projektarbeit über 37.000 Euro zu. Und das, obwohl Schmidts Geschäftsführer-Vertrag gar keine Abfindungsregelung vorsah - also ein reiner Goodwill-Akt unter Männern an allen Gremien vorbei. Obendrein verfügte der Oberbürgermeister entgegen dem ausdrücklichen Rat seines Fachbereichs Personal, dass sein Dezernent im Widerspruch zur NRW-Nebentätigkeitsverordnung die Summe in voller Höhe behalten dürfe.

Zu Unrecht, wie das Hagener Rechnungsprüfungsamt in einem Sonderbericht jetzt feststellte, eine solche Verfügung dürfe nur der Innenminister persönlich erlassen. Ein Handeln mit Steuergeldern nach Gutsherrenart, für das sich der Oberbürgermeister bei den Bürgern inzwischen entschuldigte. Die strafrechtlichen Aspekte prüfen derzeit die Ermittlungsbehörden – seit gestern mit weiteren ­Unterlagen aus den Durchsuchungsaktionen.

Teure Abschiedsfeier

Zum Fall für die Staatsanwaltschaft wurde auch die 31.000 Euro teure Abschiedsfeier für den Geschäftsführer der städtischen Wohnungsgesellschaft: Alle feierten mit, alle echauffierten sich über die plötzlich bekannt gewordenen Kosten der Edel-Sause, niemand im Aufsichtsrat zog die Konsequenzen. Und jetzt auch noch – ganz ohne rechtliche Notwendigkeit – ein Extra-Lohn von Hagens Nummer 1 an Hagens Nummer 2. Der Eindruck eines Rathauses als Ort für gegenseitige Gefälligkeiten bleibt in den Köpfen der Menschen hängen. Jener Bürger, die sich aktuell auf eine schmerzliche Grundsteuererhöhung (fast 300 Prozentpunkte) gefasst machen müssen, weil Hagen sonst den Haushaltssicherungsplan nicht packt und der Stadtkasse weitere 40 Millionen Euro aus dem NRW-Stärkungspakt Stadtfinanzen durch die Lappen zu gehen drohen. Zugleich müssen die Bürger hilflos mit ansehen, wie Hagen aufgrund des demografischen Wandels (jedes zweite Neugeborene hat bereits einen Migrationshintergrund) zusammenschrumpft wie kaum eine zweite Stadt in NRW und somit eine teure Infrastruktur für einst 230.000 Menschen künftig nur noch von 160.000 Steuerzahlern gestemmt werden muss.

Kredit verspielt

Oberbürgermeister Dehm, der als Verwaltungsfachmann angetreten war, um die Stadtkasse zu konsolidieren, muss nicht zuletzt wegen seiner eigenen Affäre aktuell erfahren, dass er den Kredit bei den Bürgern weitgehend verspielt hat. Und genau in diese Gemengelage hinein wurde in der vergangenen Woche noch bekannt, dass der neue Vorstand des erweiterten Wirtschaftsbetriebes Hagen, ein städtisches Tochterunternehmen, mit einem Dienstwagen im Wert von 70.000 Euro ausstaffiert werden soll. Potenziell eine Limousine aus dem S-Klasse-Segment, die den Dienstwagen des Oberbürgermeisters locker in den Schatten stellt. Empörte Töne aus der Politik wurden erst laut, als diese Zeitung den Fall aufgriff. Unter dem öffentlichen Druck reagierte der Oberbürgermeister und kassierte diese Vorlage erst einmal ein.