Hagen. . Der deutsche Getränkegroßhandel steht womöglich vor einer Zäsur: Hunderte Betriebe sorgen sich um ihre Existenz; Branchenkenner fürchten eine Pleitewelle. Grund ist die Insolvenz der Getränke-Ring e. G. im hessischen Butzbach, ein Genossenschaftsverbund, der zentral für bundesweit rund 1100 Getränkegroßhändler den Zahlungsverkehr abgewickelt hat.

Die Hiobsbotschaft kam am 4. Oktober, und sie kam wie aus heiterem Himmel: Seither geht in weiten Kreisen des deutschen Getränkegroßhandels die Existenzangst um. Auslöser ist der Insolvenzantrag der Getränke-Ring e.G. mit Sitz im hessischen Butzbach, eine Pleite, deren Strudel zahlreiche Betriebe gleich mit an den Rand des Ruins spülen könnte. Oder noch darüber hinaus.

„Das ist der Super-GAU für die Branche. Da werden wohl einige auf der Strecke bleiben“, bringt ein Getränke-Großhändler aus dem Sauerland (Name der Redaktion bekannt) die verbreiteten Befürchtungen auf den Punkt.

Die große Tragweite des Problems ergibt sich aus der Schlüsselrolle, die der Getränke-Ring in der Branche einnimmt: Die vor 52 Jahren gegründete Genossenschaft wickelt den Zahlungsverkehr für fast jeden dritten der rund 3400 deutschen Getränkegroßhändler ab. Rund 1100 Betriebe sind dem Ring angeschlossen, der für Brauereien, Mineralbrunnen und andere Getränkehersteller das Inkasso übernimmt. 890 Millionen Euro, so das Branchenportal Infodienst.de, beträgt das Volumen der Zentralregulierung.

Bundesweit gibt es nur eine Handvoll dieser Dienstleister, von deren Wirken Händler und Industrie gleichermaßen profitierten, erklärt Günther Guder, geschäftsführender Vorstand beim Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandels. Die Hersteller sparten Kosten durch den gebündelten Zahlungseinzug, zahlten dafür eine Provision an den Händlerverbund, der seinen Mitgliedern wiederum großzügigere Zahlungsziele oder andere Vorteile einräume. Eine „Win-Win-Situation“, so Guder. Eigentlich.

Doch seit zwei Wochen ist alles anders. Mit der Insolvenz des Getränkerings, deren genaue Hintergründe noch unklar sind, wurden Zentralregulierung und sämtliche Zahlungsströme eingestellt. Problem: Oft liegen mehrere Tage oder sogar Wochen zwischen den Einzahlungen der Mitglieder und den Auszahlungen. Folge: Zahlreiche Betriebe haben ihre Rechnungen bereits beglichen, aber die Gläubiger in der Getränkeindustrie hat das Geld nicht mehr erreicht.

Die Händler müssen nun fürchten, mit den Forderungen erneut konfrontiert und damit doppelt zur Kasse gebeten zu werden. Dabei geht es vielfach um große, mitunter sechsstellige Summen, die so manchen kleinen und mittelständischen Betrieb mit schmaler Liquidität schnell überfordern könnten. Es droht eine Pleitewelle.

„Einige Firmen haben fast eine dreiviertel Million offen stehen“, berichtet der Getränkehändler aus dem Sauerland. Er selbst ist auch betroffen, wird nach eigenen Worten aber „mit einem blauen Auge davonkommen“. „25.000 werde ich schlimmstenfalls wohl verlieren.“ Was den Schaden bei ihm in Grenzen hält, ist eine Ausnahmesituation in Südwestfalen, im „sogenannten Bermudadreieck“: Die drei dominierenden Brauer der Region, Krombacher, Veltins und Warsteiner, sind allesamt selbst im Großhandel aktiv und rechnen nicht über den Getränkering ab. Das, so der Händler, „ist in diesem Fall natürlich ein klarer Vorteil“. Getränkekonzerne wie Radeberger und Inbev, die Weißbierbrauereien in Bayern und viele Mineralbrunnen nutzten dagegen den Ring für ihr Inkasso.

Bundesweit 300 bis 400 Händler, schätzt Guder, sind in unterschiedlichem Umfang von der Insolvenz betroffen. „Aber bisher hat noch kein Hersteller verlangt, dass für alte Rechnungen noch einmal Geld gezahlt wird“, betonte der Chef des Verbandes, der die Interessen von 620 Händlern mit 44.000 Mitarbeitern bündelt. Die Getränkeindustrie wartet vorerst ab. Wie es weitergeht, liegt in den Händen des vorläufigen Insolvenzverwalters Dr. Jan Markus Plathner. Der Frankfurter Sanierungsexperte prüft derzeit die Bücher und die Chancen für einen Fortbestand der Genossenschaft. Ausgang: ungewiss; ­Plathner war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

„Das ist eine juristisch sehr komplexe Situation“, weiß Guder. Auch deshalb, weil der Getränkering Forderungs- und Fristenmanagement mit externen Factoring-Partnern betrieben hat - was ihm Branchenkreisen zufolge auch zum Verhängnis geworden sein soll. Einer dieser Anbieter soll kurzfristig zweistellige Millionenbeträge zurückgefordert haben.

In den nächsten Tagen sind laut Guder erste Gespräche des Insolvenzverwalters mit den größten Gläubigern geplant, darunter unter anderem der Radeberger-Konzern. Die betroffenen Großhändler hoffen derweil auf Kulanz. Die Industrie müsse doch froh sein, „dass wir noch da sind“, sagt der Händler aus dem Sauerland: „Wir sitzen schließlich in einem Boot.“