Hagen.

Der April war bis zu den Rekordwerten am Wochenende zu kalt. Aber das ist - wen es tröstet - nur Wetter. Klimatisch betrachtet wird es wärmer. Und zwar schon länger. Das hat bereits heute Folgen für die Landwirtschaft.

Zwischen 1951 und 2009 hat sich der Beginn der Vegetationszeit um 16 Tage nach vorne verlagert. Das hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in NRW festgestellt. Es wird früher Frühling und Sommer, bleibt länger Herbst und ist kürzer Winter. Im Landesdurchschnitt ist der Winter um 21 Tage geschrumpft und der Herbst um 17 Tage gewachsen.

Es lässt sich auch genauer sagen. Wenn die Sal-Weide blüht, beginnt die phänologische Vegetationszeit, wenn sich die Blätter der Stieleiche verfärben, endet sie. 203 Tage dauerte die Phase dazwischen im Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990 im Sauerland. 210 Tage waren es zwischen 1991 und 2009. Im Flachland steigerte sich die Vegetationszeit sogar von 213 auf 223 Tage.

Dieter Wagener lebt seit mehr als 50 Jahren auf dem Lahnhof in Netphen-Nenkersdorf im Siegerland. Und seitdem macht er täglich Wetteraufzeichnungen. „Mit 75 Jahren neige ich eher zur Gelassenheit“, sagt er. Soll heißen: An eine Klimakatastrophe glaubt er nicht. Aber Veränderungen hat er schon festgestellt auf 625 Meter Höhe: „In den 60er Jahren hatten wir deutlich mehr Schnee und er lag deutlich länger“, entnimmt er seinen Aufzeichnungen. „Früher blühten die Märzenbecher Ende April, jetzt teilweise schon Ende Februar.“

„Das liegt an der Züchtung“

Aber Wagener hat auch noch Aufzeichnungen von seinem Ur-Ur-Großvater. In denen steht, dass in einem Jahr die Kühe im Januar draußen waren und dass im anderen im Mai Eiszapfen an den Ochsen hingen. Deshalb sieht er nicht gleich den Klimawandel am Werk, wenn Mais jetzt in höheren Lagen wächst: „Das liegt an der Züchtung.“

Für die deutschen Pflanzenzüchter ist der Klimawandel schon ein großes Thema - seit Jahrzehnten. Sie entwickeln neue, robuste Sorten, die mit mehr Niederschlag im Winter, mehr Trockenheit im Sommer und neuen Schädlingen zurechtkommen: „Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beispielsweise an trockenresistenten Nutzpflanzen stehen zwar noch relativ am Anfang, aus der grundlagenorientierten Genomforschung kommen jedoch umfangreiche Erkenntnisse, die mittelfristig für die praktische Züchtung genutzt werden können“, sagt Ulrike Amoruso-Eickhorn vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter.

Das genetische Potenzial

Derzeit wird in einem großen Verbundforschungsprojekt die Trockenstresstoleranz von Gerste untersucht, davor ging es um die Blühverfrühung von Winterweizen. Weil die verschiedenen Regionen in Deutschland aber unterschiedlich auf den Klimawandel reagieren, müssen gegebenenfalls verstärkt regionalspezifisch angepasste Sorten gezüchtet werden, erklärt Amoruso-Eickhorn: „Das genetische Potenzial für derartige Züchtungsansätze ist vorhanden.“

Die großen Katastrophen sieht auch Jochen Thiering, Referent für Umweltpolitik beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband in Münster nicht: „Der Landwirt musste immer schon nach draußen aufs Wetter schauen und nicht auf den Kalender.“ Aber die Zunahme der Vorsommertrockenheit sei schon ein Problem. So wie viel Regen und matschige Böden im Herbst. So wie das Spätfrostrisiko nach einem frühen Vegetationsbeginn. „Aber darauf liegt der Fokus der Forschung, da wird viel diskutiert. Und schon jetzt liefern die Züchter angepasste Sorten.“

Dieter Wagener hat nichts gegen Forschung. Er hat auch schon mit der Fachhochschule Soest an einem Grünland-Projekt gearbeitet. Aber er nimmt es, wie es kommt: „Im vergangenen Jahr hatten wir die Kühe schon am 10. April auf der Weide. Jetzt ist das Gras noch zu kurz. Also warten wir noch ein paar Tage.“