Hagen. . Jan Philipp Gloger ist 30 Jahre alt, Leitender Schauspielregisseur am Staatstheater Mainz und hat bisher zwei Opern inszeniert. Die dritte wird Wagners „Fliegender Holländer“ sein. Damit eröffnet der Hagener im Sommer die Bayreuther Festspiele. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Jan Philipp Gloger über Provinz und Weltöffentlichkeit, über Provokation im Theater und die Erwartungshaltung, die sich mit dem Namen Bayreuth verbindet.

Von Hagen nach Bayreuth, und das mit nur 30 Jahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird voraussichtlich in Ihrem „Holländer“ sitzen, die ganze Welt wartet gespannt auf Ihre Inszenierung. Wie geht man mit diesem Erwartungsdruck um?

Jan Philipp Gloger: Anfangs habe ich die Festspielleiterinnen sehr offen gefragt, warum sie mich für den „Holländer“ wollen. Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier konnten das genau begründen auf der Basis von Besuchen meiner Inszenierungen. Der Druck hat den Effekt, dass ich versuche, meine Arbeit sehr gründlich und genau zu machen. In Bayreuth zu inszenieren, als dritte Oper, das sind große Sprünge. Doch ich wollte immer Regisseur werden. Es war auch ein wahnsinniger Druck, mit 25 seine erste Inszenierung gleich am Residenztheater in München zu machen. Insofern habe ich eine gewisse Übung im Umgang mit Druck und überraschenden Möglichkeiten. Der „Holländer“ ist so wahnsinnig und stark und kräftig, dass es einem hilft, mit Druck umzugehen.

Ihre erste Inszenierung haben Sie bereits in Hagen gezeigt?

Jan Philipp Gloger: Ja, mit 19 im Kulturzentrum Pelmke den „Woyzeck“ mit der Würfelbühne - parallel zu den Abi-Vorklausuren. Diesen „Woyzeck“ haben wir übrigens im alten Klassenzimmer meiner Oma aufgeführt, die kam aus Hagen-Wehringhausen.

Aus der Provinz Hagen in die weite Theaterwelt: Was bedeutet Stadttheater für Sie – und werden Sie künftig ein Reiseregisseur mit Bonusmeilen?

Jan Philipp Gloger: Die Funktion von Theater als Zentrum und Identifikationsinstitution in einer Stadt, die finde ich wahnsinnig wichtig, gerade für meine Heimatstadt Hagen. Am Stadttheater kann man arbeiten und leben gleichzeitig, man kann Kontinuitäten aufbauen, ein Vertrauensverhältnis. Aus diesem Grund bin ich ja auch als Leitender Schauspielregisseur nach Mainz gegangen. Im Sprechtheater erfahre ich gerade eine Befreiung, ich werde mutiger, radikaler, vertrauensvoller außerhalb der Metropolen.

Nun warten alle gespannt, was Sie aus dem „Holländer“ machen. Können Sie schon etwas verraten?

Jan Philipp Gloger: Es gibt viele Inszenierungen, in denen die Figur des Holländers eine Projektion ist. Ich finde es aber interessant, den Holländer lebendig zu denken. Was ist, wenn der ein Mensch in einer ganz spezifischen Leidenssituation ist? Das hat viel mit Wagner zu der Zeit, als er den Holländer schrieb, zu tun. Mit seinem Leiden an der Welt, seiner Ablehnung von Materialismus und der Suche nach dem großen Gefühl. Und es hat viel mit meiner Sicht der Welt zu tun. Das Lebensgefühl, alle Möglichkeiten zu haben, aber auch immer alle Möglichkeiten nutzen zu müssen, dieser Druck: Das musst Du noch machen, die Sehnsucht, einen Punkt zu finden, wo man ankommt, durch so eine altmodische Sache wie ewige Treue. Ich möchte den Holländer plastisch denken, ohne ihm sein Geheimnis zu nehmen.

Ihre musikalischen Wurzeln liegen im Posaunenchor des CVJM und der Musikschule Hagen. Wie geht man von dieser Basis aus mit Wagner und dem Mythos Bayreuth um?

Jan Philipp Gloger: Es ist wichtig, Theater als Gesamtereignis zu denken. Dass man in Bayreuth auf diesen harten Stühlen so lange sitzt, der auf die Bühne gelenkte, fast eingesaugte Blick, die Dunkelheit, das alles gehört dazu. Deshalb müssen diese Werke weiter und immer in Bayreuth aufgeführt werden, und es ist eine ganz große Ehre, da arbeiten zu dürfen. Man ist als Theatermacher sehr sensibel für den Raum, in dem man inszeniert. Und der Bühnenbildner Christof Hetzer hat in seinen Entwürfen auch sehr intensiv auf die Erfahrung dieses Raums reagiert.

Von Regisseuren, gerade in der Oper, erwartet man heute, dass sie Spektakel, Grenzüberschreitungen produzieren, oder nicht?

Jan Philipp Gloger: Diesem Druck, etwas Auffälliges machen zu müssen, setze ich mich nicht aus. Und schrille Bilder waren nie mein Ausgangspunkt als Regisseur, sondern eher Sprache und Musik. Man komponiert im Sprechtheater den ganzen Abend, in der Oper hat man schon einen perfekt komponierten Abend, ist aber umso sensibilisierter dafür, eine weitere Zeitebene auf der Bühne dazuzufügen. Mir geht es dabei schon darum, etwas Erkennbares zu schaffen, mich prägt der Glaube daran, dass es so etwas wie Einfühlung gibt und dass das auch nicht altmodisch ist, dass man aber sehen muss, mit welchen Mitteln man das herstellt. Gerade im Musiktheater wird oft auf Biegen und Brechen eine Schreibtisch-Idee auf etwas draufgepfropft, die man im Programmheft nachlesen kann, die aber aus der Sache heraus keine Energie entwickelt. Gute Kunst muss sich nicht vorher erklären.

Es gibt in Bayreuth eine Wagnerianer-Fraktion, die mit äußerst aggressiven Buh-Schreien auf Inszenierungen reagiert. Haben Sie davor Angst?

Jan Philipp Gloger: Bayreuth ist kein Kunstmuseum. Wenn Leute denken, dass das Ereignishafte nicht ausreichend durch diesen wunderbaren und wundersamen Ort und durch die Musik geschaffen wird, dann ist das wahnsinnig traurig. Ich habe mich nie für Provokation als Selbstzweck interessiert. Verstören und Fragen stellen, Erwartungen umgehen und überraschen, all das ist spannend, aber wenn so ein Ansatz dann als Provokation aufgefasst wird, die so weh tut, dass man nur noch schreien kann, ist das traurig und verletzend. Und auch verwerflich, weil es das individuelle Erlebnis jedes Zuschauers, der nicht schreit, angreift und einschränkt.