Hagen. .

„Entsammeln“ ist das Unwort des Jahres im Kulturbetrieb. In Zeiten leerer kommunaler Kassen äugt die Politik auf Goldreserven, die sich in den Depots der städtischen Museen verbergen mögen. Doch nur wenige Politiker und Normalbürger wissen, wie es in einem Kunstlager aussieht. Wir haben im Hagener Osthaus-Museum einen Rundgang durch die Magazine gemacht.

Jeder kennt das Gefühl: Auf Tante Ännchens zugemülltem Speicher oder auf dem Flohmarkt entdeckt man plötzlich zwischen Nippes und Sperrmüll ein Gemälde. Ein echter van Gogh? Ein Renoir sogar? Der Kunstfreund wird zum Schatzgräber.

Dr. Birgit Schulte, Kustodin des Hagener Osthaus-Museums, hütet Schätze, große wie kleine. Sie weiß genau, was sich in den Depots des Hauses befindet. Denn Kustodin bedeutet Wächterin. Birgit Schulte ist im Osthaus-Museum die Frau mit den Schlüsseln. „Das Depot ist rein physisch organisiert, nach Art und Größe der Bilder, Skulpturen und Objekte. Physisch sortieren bedeutet, dass die Bestände gut und sicher untergebracht werden.“ Große Gitter-Schiebewände laufen auf Rollen, an ihnen hängen viele Emil Schumachers, Ernst Ludwig Kirchner, die schöne Geigerin Frida, gemalt von ihrem Mann Friedrich August von Kaulbach, Emil Nolde, Richard Seewald, Ludwig von Hofmann, Ruth Eckstein, Lovis Corinth, ein Nagelbild von Günther Uecker, Ida Gerhardi, Marc Chagall, Eva Niestrath, Peter August Böckstiegel, Wilhelm Morgner, Otto Modersohn, Willi Baumeister und natürlich Christian Rohlfs.

Das Auge des Betrachters reist durch die Epochen und Stile, denn die Bilder hängen ausschließlich nach Größe geordnet, damit so viele wie möglich Platz finden. In weiteren Regalen sind Skulpturen und auseinander gebaute Installationen untergebracht. Es gibt das Grafik-Magazin, in dem die empfindlichen, kostbaren Papierarbeiten lichtgeschützt in Metallschränken aufbewahrt werden. Es gibt das Lager mit den Arbeiten von Künstlern, die keinen Marktwert haben wie Friedrich Adolf Apfelbaum, weil sie nicht auf dem Markt sind. Alle Räume sind einbruchsicher ausgerüstet.

Manches hat der Zufall hierher gebracht, manches ist kurios, um vieles beneidet die ganze Welt das Osthaus-Museum: „Für den Apfelbaum wie für den Schumacher ziehe ich weiße Handschuhe an, wenn ich den bewege“, behandelt die Kustodin das Berühmte wie das Unbekannte mit größtem Respekt. „Man kann das Depot wie ein Archiv sehen, es schildert die Sammlungsgeschichte des Museums.“

„Der Sammlungsbestand des Osthaus-Museums soll selbstkritisch unter die Lupe genommen werden: Ein Verkauf darf kein Tabu sein“: So steht es in dem Bericht „Organisationsberatung der Kultureinrichtungen“, den Prof. Karl-Heinz Hasenritter jetzt im Auftrag von Hagens Oberbürgermeister Jörg Dehm erstellt hat. Bereits vorher hatte Museumsdirektor Dr. Tayfun Belgin bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, als er konstatierte, dass man über Veräußerungen nachdenken sollte. Der Konflikt entzündete sich an dem Angebot des Auktionshauses Christie’s, das singuläre Hagener Großgemälde „Der Auserwählte“ von Ferdinand Hodler für zehn Millionen Euro zu versteigern.

Belgin will nicht die Sahnestücke verscherbeln. Und schon gar nicht, um damit Haushaltslöcher zu stopfen. Der Museumsdirektor will Kunst allenfalls verkaufen oder tauschen, um andere Kunst einkaufen zu können. „Bewahren, erhalten, forschen, vermitteln, das sind unsere Hauptaufgaben“, betont er.

Belgin hat quer durch die Republik viel Schelte einstecken müssen für seine Überlegungen. Und er hat eine Diskussion ausgelöst, die zeigt, wie schwierig es inzwischen geworden ist, ein Museum nachhaltig und mit Blick auf die Zukunft zu führen. Aktiv sammeln kann das Haus mangels finanzieller Möglichkeiten nicht mehr. Der Bestand wächst durch Schenkungen, zum Beispiel durch die unschätzbaren 400 Arbeiten von Christian Rohlfs, die dessen Neffe und Nachlassverwalter Prof. Paul Vogt dem Museum übereignet hat. Ein einzigartiges Vermächtnis.

„Wir haben solche massiven Probleme“, macht Belgin deutlich. „Wie komme ich im Ausstellungsbetrieb klar, wenn Mittelkürzungen im laufenden Betrieb kommen? Das sind Problemstellungen, mit denen jeder Museumsmacher aktuell konfrontiert wird.“

Doch während die Politik von den Millionen träumen mag, die der Verkauf von kommunalen Kunst-Reserven erbringen könnte, wirft die Debatte unangenehme Fragen auf. Wird dadurch nicht der kommerzielle Kunstmarkt mit Steuergeldern subventioniert? Welche Sicherheit bietet sich den Stiftern? Teuer verkaufen lässt sich ohnehin nur die Klasse - das, was man eben nicht loswerden will.

Jedenfalls kann auch die Öffentlichkeit sich bald ein Bild davon machen, welche Bilder sich in den Magazinen des Osthaus-Museums verbergen. Denn die Bestände, die bisher mangels Platz nach Köln ausgelagert werden mussten, sind nun wieder in Hagen. Derzeit werden sie inventarisiert. Tayfun Belgin: „Dann wollen wir die Sammlung in größerem Rahmen präsentieren.“