Hagen. Es gibt Kompositionen, die treiben ihre Hörer zum Äußersten. Verschiedene Werke stehen hoch in der Gunst des Publikmus, wie jetzt der begeisterte Beifall nach dem Sinfoniekonzert der Hagener Philharmoniker bewies.

Josef Stalin zum Beispiel stand regelrecht neben sich vor Zorn, als er 1945 die Uraufführung von Schostakowitschs 9. Sinfonie erlebte. Und der Kritiker Eduard Hanslick schrieb nach der Uraufführung von Tschaikowskis Violinkonzert, das Opus brächte ihn auf die Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, „die man stinken hört“. Beim Publikum stehen beide Werke dagegen hoch in der Gunst, wie jetzt der begeisterte Beifall nach dem Sinfoniekonzert der Hagener Philharmoniker bewies.

Es ist inzwischen selten geworden, dass die Philharmoniker einen Solisten vom Rang eines Kirill Troussov verpflichten können; möglich wurde dies nur durch großzügiges privates Mäzenatentum. Troussov spielt die Stradivari „Brodsky“ von 1702, mit der Adolph Brodsky am 4. Dezember 1881 Tschaikowskis Violinkonzert uraufführte, das damals als unspielbar galt.

Schon mit dem ersten Bogenstrich verzaubert der junge Geiger sein Publikum restlos. Er macht aus diesem Schlachtross des Repertoires tief bewegende, mal zarte, mal leidenschaftliche Bekenntnismusik. Dabei ist sein Ton edel und bei aller blendenden Virtuosität immer persönlich, ja, in der Canzonetta geradezu intim. Schon nach dem ersten Satz gibt es Bravo-Rufe, am Ende feiert das Auditorium Kirill Troussov mit Beifall im Stehen, der sich mit Paganinis Variationen über „Mein Hut, der hat drei Ecken“ bedankt.

Erstmals in derHeimatstadt

Frank Beermann ist ein international gefragter Maestro. Der Chemnitzer GMD hat allerdings bis jetzt noch nie in seiner Heimatstadt Hagen dirigiert. Beermann lässt das Orchester beim Tschaikowski zurückhaltend strahlen, setzt die vielen feinen Dialoge der Violine mit den Holzbläsern delikat in Szene.

Die 9. Sinfonie Schostakowitschs ist im Prinzip kammermusikalisch gedacht, und die Psychologie der solistisch eingesetzten Orchesterinstrumente spielt eine wichtige Rolle. Marschbewegung prägt das Werk, und Beermann stellt heraus, wie diese sich im ersten Satz aus den Rufen des dicken Blechs, der Piccoloflöte und der Trommel verselbstständigt. Im zweiten Satz versuchen die Holzbläser, sich als individuelle Stimmen zu behaupten, während im dritten Satz das Fagottsolo vom Gleichschritt der Posaunen in die Zange genommen und in den irrwitzigen Tanz einer Zirkuskapelle überführt wird. Solofagottist Friedhelm Grote gestaltet diese Stelle mit großer Intensität, wie insgesamt die Philharmoniker all die schwierigen solistischen Aufgaben brillant bewältigen.

Dieser einkomponierte Spagat zwischen tieftrauriger Parodie und verfremdetem Volkston ist schwer zu treffen: Frank Beermann zeichnet ihn aber mit feinem Gespür und schenkt dem Opus damit genau den Gehalt, der Stalin so irritierte. Der hatte gedacht, Schostakowitsch komponiert eine krachende Apotheose des Sieges der Roten Armee über Hitler-Deutschland - und keine Satire über Marschmusik.

Große Klangmagie entfaltet sich zum Auftakt des Konzertes mit „The Cathedral at Dawn“ von Jon Lord. Der Ex-Keyboarder von Deep Purple ist in dieser Spielzeit Komponist für Hagen. Da Lord nach einer Krankheit noch rekonvaleszent ist, konnte er nicht zum Konzert kommen. „The Cathedral“ ist wunderbar meditative Musik, und Frank Beermann lässt die hellwachen Philharmoniker die asketisch-mittelalterlichen Melodie-Linien sensibel auskosten und zu einem farbenreichen Gebet zusammenfügen.