Hagen. .
Sauerländer feiern Karneval. Und ob. Aber hallo! Und dennoch gilt die Region als Rückzugsgebiet für rheinische Karnevalsflüchtlinge. Wie das zusammenpasst? Vielleicht so: Wer hier nichts mitbekommen will, der bekommt auch nichts mit.
Winterberg ist so gut wie ausgebucht. In Holland haben die Frühjahrsferien begonnen, die Rheinländer setzen auf Skibrille statt Pappnase. Langläufer und Winterwanderern wird keine Narrenkappe begegnen, aber Susanne Schulten von der Wintersport-Arena ist schon aufgefallen: „Die Apres-Ski-Musik ist den Karnevalshits sehr ähnlich.“ Und die Hütten sind karnevalistisch dekoriert. Das heißt: Wer will, der kann. Aber anders als in Köln oder Düsseldorf muss nicht, wer nicht mag.
Ausgesprochene Tätää-freie Gebiete gibt es beispielsweise am Sorpesee: Mit dem Pauschalangebot „Karneval ade“ begrüßt das Hotel Seegarten Narren-Allergiker. „Das läuft seit einigen Jahren sehr erfolgreich“, sagt Küchenchef Olaf Baumeister. „Bei uns gibt es keinen Trubel und keine Party, die Gäste können sich entspannt zurücklehnen und verwöhnen lassen.“ Aber war nicht am Sonntag in Sundern ein Umzug mit 40 Wagen? „Sicher“, sagt Baumeister. „Sundern hat eine große Karnevalstradition.“ Auch in Neheim und Arnsberg sei viel los. „Aber bei uns am See herrscht Ruhe.“ Und das freut ihn nicht nur wegen des Geschäfts: „Ich bin auch kein Karnevalstyp.“
Nach Auskunft von Anna Galon vom Sauerland-Tourismus werben eine ganze Reihe von Gastgebern gezielt mit den karnevalsfreien Zonen. Das Maritim Hotel Grafschaft Schmallenberg gehört dazu. Mit sehr gutem Erfolg. „Wir sind so gut wie ausgebucht, vor allem mit Rheinländern“, sagt eine Mitarbeiterin. Natürlich gebe es im Ort Karnevalsveranstaltungen. „Aber unsere Gäste müssen ja nicht in die Schützenhalle gehen.“
Was sind das denn für Leute, die dem organisierten Frohsinn entfliehen? Zum Beispiel Evelyn und Volker Haubold. Sie leben seit 20 Jahren in Düsseldorf, haben aber nie einen Draht zu der speziellen rheinischen Fröhlichkeit entwickelt. Oder Henny und Klaus Priemer aus Köln. Seit Jahrzehnten fahren sie an den tollen Tagen zum Wandern in die Berge: „Wir machen Platz für die vielen Fremden, die bei uns feiern.“
Der Winterberger Tourismus-Direktor Michael Beckmann sieht das genau so: „Irgendwie ist das auch ein Blutaustausch, weil ja auch viele Sauerländer zum Feiern nach Köln oder Düsseldorf fahren.“ Und die Menschen von dort nehme man gerne auf: „Wenn es Brei regnet, muss man den Löffel hinhalten.“
Aber nicht jeder Flüchtling bleibt konsequent. Das hat jedenfalls Christian Brechmann, Mitglied im Elferrat der Sunderner Karnevalsvereinigung „Flotte Kugel“ beobachtet. Viele der vermeintlichen Aussteiger würden im entscheidenden Moment wieder schwach: „Das sind die Leute, die mit den Händen in der Tasche beim Zug stehen und keine Miene verziehen, weil sie sich nicht trauen ihre Begeisterung offen zu zeigen.“
Jecken hier - Exilanten dort. Das ist ein schwieriger Spagat für viele Gastronomen im Sauerland. Matthias Willecke vom Landhotel Willecke in Sundern-Stockum kennt aber die Ruhebedürfnisse eines Teils seiner Gäste. Die durften sie gestern Abend im hinteren Bereich des Gasthofs bei gutem Essen und Rotwein genießen, während vorne Karnevalsmusik Feierlaune machten. „Ich will doch die Einheimischen nicht vergrätzen“, sagt Willecke. Außerdem hat er selbst Spaß am Karneval. Und wenn ein Teil der Gäste sich anstecken lässt und mitfeiert, ist er noch zufriedener.