Hagen.
Große Sinfonik ist in Hagen inzwischen aus Kostengründen nur noch selten zu hören. Doch das Publikum liebt die luxuriös besetzten Werke der Spätromantiker. Entsprechend gefeiert wurde jetzt eine Hommage an Richard Strauss, die GMD Florian Ludwig mit den Philharmonikern in der Stadthalle liebevoll zelebriert hat.
1948. Ganz Europa liegt noch in Trümmern, und Richard Strauss schreibt sein letztes Werk, die „Vier letzten Lieder“. Wie ein Meteorit schlägt diese Komposition in die Musikgeschichte ein: Sie spiegelt ein Paralleluniversum, in dem Hitler, der Krieg, die Zwölftonmusik und nicht zuletzt Strauss’ eigene, wenig ehrenvolle Rolle als Präsident der Reichsmusikkammer nicht vorkommen. Die Verwunderung ob dieses weltflüchtigen Abschiedsgrußes des knapp 84jährigen mischt sich bis heute mit Verehrung wegen der erschütternden Schönheit des Werks.
Der Sopranistin Melanie Maennl gelingt eine betörende Interpretation, ihr stehen genau die irisierenden Farben zur Verfügung, die dieses Opus braucht: eine ausdrucksstarke Mittellage mit samtigem Bratschentimbre und dazu die Fähigkeit, Hochtonakzente mit dramatischem Glanz und kultivierter Innigkeit einzusetzen. Melanie Maennl, die Frau des Generalmusikdirektors, zeigt dazu im „Frühling“, wie Strauss die Stimme als zusätzliche Farbe im Orchestersatz verwendet, sie wird geradezu vom Gesang der Instrumente verschlungen, deshalb versteht man sie hier auch nicht.
Die Strauss-Hommage ist der große Abend der Hagener Philharmoniker, die unter der Leitung von Ludwig leidenschaftlich und berückend klingen und viele komplexe Soloaufgaben mit Bravour meistern. Der GMD hat eine gute Hand für diese Musik, er trifft stets den Puls, der die Partituren zum Glühen bringt, und er lässt seinen Musikern Luft zum Atmen und Aufblühen.
Sinnlicher Tanz
Die nehmen voller Sinnlichkeit den „Tanz der sieben Schleier“ aus „Salome“ in Angriff mit seiner knisternden Spannung zwischen üppiger Streicher-Idylle und harmonisch geschärften, orientalisierten Holzbläsern und Schlagwerk. Das „Duett Concertino“ für Klarinette und Fagott zeigt, welche Ausnahme-Musiker an den Pulten der Philharmoniker sitzen. Soloklarinettist Werner Hußendörfer und Solofagottist Friedhelm Grote präsentieren das Konzert als tänzerisch-virtuosen Dialog mit bukolischem Einschlag. Die reizvolle Solo-Kombination führt zu ungewöhnlich schönen Effekten, etwa wenn das Fagott mit dem Engelszirpen der Violinen gekoppelt wird.
Das Thema von „Also sprach Zarathustra“ hat es ins Kino und in die Werbung geschafft. Mit seiner durch Blech in Überbreite und Orgel angefetteten Instrumentierung entspricht es dem Großmannsdenken um die Jahrhundertwende. Doch Florian Ludwig nimmt die Wucht sofort zurück, um die pittoresken Charaktere und kompositorischen Raffinessen auszuloten. Das herrliche Tanzgeigensolo und das Glockengeläute der Streicher bilden delikate Atempausen in einem rauschhaften Klangerlebnis mit Suchtpotenzial.
Natürlich muss ein Dirigent beim „Zarathustra“ den Sack mal so richtig aufmachen dürfen, und Ludwig bleibt dem Stück nichts schuldig. Am Ende jubelt nicht nur das Publikum, sogar die Musiker klopfen Beifall - was in den Orchestern gegenüber den eigenen Chefs selten vorkommt und hohes Lob bedeutet.