Hagen. Die “Inklusion“, der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern, ist derzeit in der Diskussion. Viele Lehrer, vor allem an Gymnasien, stehen dem Konzept skeptisch gegenüber. An einer Hagener Grundschule hingegen, wird das Modell seit 2003 erfolgreich in der Praxis umgesetzt.

Das Schlagwort „Inklusion“ spaltet die Lehrerschaft in Südwestfalen in zwei Lager: Während für das eine die Forderung nach mehr gemeinsamem Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern nicht schnell genug umgesetzt wird, fürchtet das andere eine Überforderung aller. An der katholischen Grundschule Overberg in Hagen wird Inklusion jedoch bereits erfolgreich gelebt.

Langfristig, da sind sich die von unserer Zeitung befragten Lehrer einig, müsse das Ziel sein, alle Kinder, bei denen es möglich ist, mit pädagogischer Unterstützung in den Regelschulalltag zu integrieren. Viele Pädagogen befürchten aber, dass geltende Regeln der Landesregierung nicht genügen. Räumliche Gegebenheiten müssten erst veränderten pädagogischen Anforderungen angepasst werden, um Platz für individuelle Förderung zu schaffen. Zusätzliche Kinder mit Behinderung in der Klasse würden auch zusätzliche Sonderpädagogen erfordern.

„Es fehlt vor allem noch an praktischen Handlungsanleitungen“, berichtet Heidi Düwel (49), Schulleiterin der Mariengrundschule Meschede. An ihrer Schule seien die Voraussetzungen noch nicht gegeben. Betroffene Kinder könnten nicht so gefördert werden, „dass sie etwas davon haben“.

Der Unterricht darf nicht zu einem täglichen Kampf werden

Auch für Barbara Wolf (49), stellvertretende Schulleiterin der Kardinal-von-Galen-Schule Eslohe, einer Förderschule, macht Inklusion nur Sinn, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. „Die Schüler dürfen nicht hinter das zurückfallen, was an einer Förderschule geleistet wird. Nur dann ist es eine gute Sache.“ Es gebe immer noch viele Eltern, für die der Unterricht an einer Regelschule als enorme Belastung empfunden wird. „So manches behinderte Kind geht in zu großen Klassen unter. Da wird der Unterricht zum täglichen Kampf.“

Gemeinsames Lernen

Wie Inklusion funktioniert, zeigt am Dienstag, den 31.05.2011, die Klasse 5a der Hauptschule am Hölkeskampring in Herne mit den Lehrerinnen Nicole Illguth (im lila T-Shirt) und Jennifer Herber (weiße Bluse).Foto: Ute Gabriel / WAZ FotoPool
Wie Inklusion funktioniert, zeigt am Dienstag, den 31.05.2011, die Klasse 5a der Hauptschule am Hölkeskampring in Herne mit den Lehrerinnen Nicole Illguth (im lila T-Shirt) und Jennifer Herber (weiße Bluse).Foto: Ute Gabriel / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
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Jutta Liese, Schulleiterin der Katholischen Grundschule Overberg in Hagen, kann die Aufregung nicht verstehen. Ihre Schule gilt bereits jetzt als eine mit Vorbildcharakter: Sie hat es beim Wettbewerb um den Deutschen Schulpreis unter die 20 besten der Republik geschafft. Am kommenden Donnerstag reist die 62 Jahre alte Schulleiterin nach Dillingen an der Donau, um den Bayern Inklusion nahe zu bringen.

In Hagen wird Inklusion gelebt - seit 2003

„Wir leben Inklusion. Seit 2003“, berichtet Jutta Liese. Da werde kein Kind vorher getestet. „Und genauso, wie ein Kind bei uns nicht erfährt, dass es hochbegabt ist, genauso erfährt ein anderes auch nicht, dass es behindert ist.“ Keines werde abgestempelt, jedes sei anders: „Nur darin ist jedes Kind gleich.“

Jutta Liese ist es nicht entgangen, dass vor allem Gymnasiallehrer der Inklusion besonders skeptisch gegenüber stehen. „Jeden mitzunehmen, das ist nicht einfach, aber es geht“, sagt sie. Ihre Kollegen sollten vom „Frontalunterricht“ Abstand gewinnen. Gymnasiallehrer sollten verinnerlichen, dass sie „in erster Linie Pädagogen und erst in zweiter Linie Lehrer sind“.

Für Jutta Liese, die selbst an einer Förderschule gearbeitet hat und die Arbeit der Lehrer dort schätzt, ist die Zeit der Förderschulen abgelaufen. „Von Ausnahmen abgesehen, gehört jedes behinderte Kind in eine Regelschule.“

Kein Kind darf zurückgelassen werden

In der Gesamtschule Fröndenberg mit ihren 1600 Schülern scheint Inklusion dem nahe gekommen zu sein, was sich die Landesregierung vorstellt. „Bei uns haben die Politiker alle Maßnahmen umgesetzt, die man dafür benötigt“, berichtet Schulleiter Klaus de Vries. In zwei Klassen seien insgesamt fünf behinderte Schüler „voll integriert“. „Beide Unterrichtsräume haben Anschluss an Differenzierungsräume. Wir sind im zweiten Jahr, das Lernklima ist positiv zu bewerten.“ Sonderpädagogen seien 2,5 Stunden die Woche für jeden einzelnen Schüler da.

Für de Vries steht fest: Inklusion führe das dreigliedrige Schulsystem ad absurdum. „Wenn behinderte Kinder nicht mehr ausgegliedert werden sollen, warum sollen es dann die sogenannten normalen Kinder?“ Kein Kind dürfe zurückgelassen werden. Es fehle nur noch eine spezielle Qualifizierung der Lehrer an allen Schulformen bei ­gleichzeitiger Reduzierung der Klassengrößen. „Wenn man behinderte Kinder nicht mehr aussortiert, dann hat das etwas mit Menschenwürde zu tun.“