Paderborn. Das Landgericht Paderborn steht vor dem aufwändigsten Prozess seiner jüngeren Geschichte. Ab Donnerstag, 12. Januar, verhandelt die 2. Große Strafkammer „Umweltschutzdelikte großen Ausmaßes“ - in der Öffentlichkeit seit dem Jahr 2006 als „PFT-Skandal“ bekannt. Bis zu einem Urteil kann ein Jahr vergehen.
Gleich sechs Personen sitzen in Ostwestfalen auf der Anklagebank: ein Unternehmer aus Borchen im Kreis Paderborn mit Wohnsitz Brilon, sein Betriebsleiter sowie vier Beschäftigte einer belgischen Aktiengesellschaft. Die Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Staatsanwaltschaft Bielefeld wirft den Angeklagten vor, an der „landwirtschaftlichen und gärtnerischen Verwertung“ von mit der Industrie-Chemikalie PFT verunreinigten Abfällen beteiligt gewesen zu sein.
Krebserregende Substanz
PFT steht unter dem Verdacht, krebserregend zu sein. Das Borchener Unternehmen, so der Vorwurf, soll diese Industrieklärschlämme mit unbelastetem Material vermengt und als Biodünger an Landwirte verkauft haben. Von den verseuchten Bodenflächen - besonders hohe Werte wurden in Brilon-Scharfenberg gemessen - gelangte das PFT über die Möhne in die Ruhr - und von dort ins Trinkwasser.
„Es ist ein sehr komplexer Prozessstoff“, sagt Gerichtssprecher Bernd Emminghaus und berichtet von „raumgestalterischen Maßnahmen“ im Justizgebäude im Vorfeld des spektakulären Prozesses. Im Schwurgerichtssaal („der größte Raum, den wir haben“) habe man wegen der großen Zahl an Angeklagten und Verteidigern (bis zu 18) mehr Sitzplätze schaffen, sprich: Mobiliar umstellen, müssen. Wegen des zu erwartenden gewaltigen Medieninteresses könne es „ein bisschen eng“ werden, so der Jurist. „Die Prozessbeobachter müssen etwas zusammenrücken.“
Richter müssen zusammenrücken
Wenn man so will, müssen die Richter auch etwas zusammenrücken. Drei Richter nehmen im Saal 205 Platz, zudem ist ein Ergänzungsrichter nominiert. „Eine reine Vorsorgemaßnahme“, sagt Emminghaus, man wolle nicht den Fortlauf des Verfahrens gefährden bzw. eine Einstellung für den Fall eines Richterausfalls riskieren. Zudem wird jedem Angeklagten ein Pflichtverteidiger an die Seite gestellt - für den Fall, dass ein Wahlverteidiger ausfällt oder sein Mandat niederlegt.
141 Seiten umfasst die Anklageschrift. Vor eineinhalb Jahren wurde Anklage erhoben, erst jetzt kommt es zum Gerichtstermin. Mahlen die Mühlen der Justiz etwa so langsam? Emminghaus verneint: „Bei Wirtschaftsstrafverfahren ist dieser Zeitraum nicht ungewöhnlich, und in diesem Fall ist der Aktenumfang enorm.“ Und überhaupt: Die Kammer habe nicht nur diese eine umfangreiche Gerichtssache zu bearbeiten.
Personalnot in Gerichten ein Problem
Stichwort: Personalnot in Gerichten. „Grundsätzlich“, sagt Klaus Pollmann, Pressedezernent der im PFT-Verfahren zuständigen Staatsanwaltschaft Bielefeld, müssten Wirtschaftskammern bisweilen auch andere Themenfelder beackern. „Das ist ein eher misslicher Zustand.“ Zudem gelte der Grundsatz, dass Haftsachen „beschleunigt zu bearbeiten“ seien. Im PFT-Verfahren ist keiner der Angeklagten in Haft - der Chef des Borkener Unternehmens ist nach einer viermonatigen Untersuchungshaft auf freiem Fuß.
Auch die Anklagevertreter im PFT-Prozess (Oberstaatsanwalt Oliver Brendel und Staatsanwalt Thomas Funke) gehen von einem langwierigen Verfahren aus. Dass die Herrschaften auf der Anklagebank kurzen Prozess machen wollen, sieht Behördensprecher Pollmann nicht: „Von Seiten der Verteidigung gibt es keine Ankündigung, dass Geständnisse zu erwarten sind.“
Eineinhalb Jahre bis zur Anklage vergangen
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft bezeichnet die eineinhalb Jahre, die seit Fertigstellung der Anklage ins Land gegangen sind, als nicht unüblich bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen. Wiewohl, schränkt er ein, ist eine lange Verfahrensdauer beim Strafmaß zu berücksichtigen - was die Arbeit der Staatsanwaltschaft nicht einfacher mache.
Grundsätzlich fällt da dem Oberstaatsanwalt ein nur auf den ersten Blick gewagter Vergleich ein: „Das ist wie bei Fleisch: Je älter es wird, umso ungenießbarer wird es.“ Unter anderem wegen der Geruchsentwicklung - wie bei mit PFT belasteten Klärschlämmen.