Hagen. .

Die Emanzipation der Instrumentalmusik ist eines der spannendsten Abenteuer der Musikgeschichte. Viele Jahrhunderte lang erklangen Geigen und Oboen ausschließlich zweckgebunden: in der Liturgie und zur Begleitung von Tänzen.

Von diesen Zwängen befreit, explodierten die Komponisten vor Schaffensfreude. Das Ergebnis ist festliche Barockmusik, wie sie die Hagener Philharmoniker in kleiner Besetzung unter der Leitung der Geigerin Midori Seiler jetzt einem großen und begeisterten Publikum präsentierten.

Midori Seiler ist Spezialistin für historische Aufführungspraxis. Die Stadt Hagen war einst das Zentrum der Originalklangbewegung, die durch den Fabrikanten und Musik-Pionier Hans Eberhard Hoesch gefördert wurde.

Midori Seiler leitet das Sinfoniekonzert von der Geige aus. Im 18. Jahrhundert gab es noch keine Dirigenten. Entweder achtete der Kapellmeister am Cembalo darauf, dass alle im Takt blieben oder der Konzertmeister.

Vor allem die Streicher haben von der Befreiung der Instrumentalmusik profitiert. Man experimentierte mit den spieltechnischen Möglichkeiten, und man hungerte geradezu nach Melodiewendungen, die aus Italien, Frankreich oder sogar aus der slawischen Volksmusik stammten. Nun entstanden auch Werke, die besonders anspruchsvolle Passagen solistisch in den Mittelpunkt stellten: das Instrumentalkonzert mit all seinen Varianten war geboren.

Pure Lust am Musizieren

Diese Lust am Musizieren muss man im Kopf haben, wenn zum Beispiel Georg Philipp Telemanns Orchestersuite Es-Dur oder Johann Bernhard Bachs Orchestersuite Nr. 2 G-Dur erklingen. Ein großes Generalbass-Ensemble mit Cembalo, Basslaute, Celli, Kontrabässen und Fagotten bildet das Fundament des Satzes und gibt ununterbrochene Bewegungsimpulse. Midori Seiler erzeugt mit den hellwach musizierenden Hagener Streichern, den Hörnern auf Naturtoninstrumenten und den Oboen einen schwebenden Puls, und sie setzt mit feinem Gespür Terrassendynamik ein, um Wiederholungen neu zu färben.

Für das Publikum ist bei Meisterwerken wie dem a-moll-Violinkonzert von Johann Sebastian Bach neben dem Generalbass natürlich der veränderte Klang der Streicher auffällig, die kaum Vibrato verwenden. Midori Seiler spielt auf einer modernen Geige mit Darmsaiten und benutzt einen barocken Bogen. So entsteht ein schlanker Klang, der voller Leuchtkraft und Transparenz ist. Dass es Bach gelang, die barocke Affekten-Lehre mit Tiefe und Gehalt aufzuladen, ist ein Grund dafür, warum seine Werke bis heute Lieblingsmusik sind.

Für die Zuhörer ist es ebenfalls eine aufregende Erfahrung, dass man bei Barockmusik möglichst genau hinhören muss, weil sie leise ist. Daraus ergibt sich eine zauberhafte Konzentration, in der Antonio Vivaldis g-moll-Violinkonzert und das a-moll-Konzert für zwei Violinen zu einer regelrechten Entdeckungsreise werden. Zum Beispiel, wenn im g-moll-Konzert die Stimmen einander polyphon verfolgen, ein dramatischer Effekt des Opernkomponisten Vivaldi. Im a-moll-Konzert und in Arcangelo Corellis Concerto grosso Nr. 8 g-moll konzertieren zwei Soloviolinen. Kalina Kolarova, Geigerin der Philharmoniker, passt sich dabei mit ihrem modernen Instrument den historischen Spieltechniken an – bis zur abschließenden Pastorale im weihnachtlichen Siciliano-Rhythmus: Ein Sinfoniekonzert, das die Musiker ebenso fasziniert wie die Zuhörer.