Hagen. .
Die schärfste Hexe der Galaxis reitet derzeit am Theater Hagen in Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ auf dem Besen. Das Publikum bejubelt eine fantastisch-bunte Inszenierung der beliebten Märchenoper, die vom Komponisten für „Erwachsene mit Kinderherzen“ geschaffen wurde.
Marilyn Bennett ist die Hexe auf Highheels, die Hokus Pokus über die Bühne fliegt und deren Krückstock sich in einen Zauberstab verwandelt, welcher dem Lichtschwert der Jedi-Ritter Konkurrenz machen könnte. Regisseur Thilo Borowczak legt die Geschichte als Wanderung zwischen Realität und Traum an. Dazu hat Bühnenbildner Jan Bammes einen surrealen Fantasy-Wald geschaffen, der an das Bild „Das Auge der Stille“ von Max Ernst angelehnt ist.
Grau und militärisch-rechteckig ist die karge Stube der Besenbinder, in der Hänsel und Gretel den Hunger zu vergessen versuchen. In vielen Grüntönen und voller organisch fließender Formen präsentiert sich demgegenüber der magische Wald und schließlich das Hexenhäuschen: eine Phantasiewelt, in der alles möglich scheint, in der aber tödliche Gefahren lauern.
Häufig werden die Partien der Hexe und der Mutter mit einer Sängerin besetzt, um Analogien zwischen beiden Figuren herzustellen. Das gelingt Thilo Borowczak mit subtileren Hinweisen. So stützt sich die gehbehinderte Mutter auf ihren Stock und erscheint in ihrer Wut als angsteinflößendes Zerrbild. Die Knusperhexe tritt mit ähnlichem Hinken auf und verwandelt sich ebenfalls: in eine schlanke, aufregend gekleidete, äußerst bösartige Frau.
Es gibt wunderschöne Effekte und Einfälle in dieser Inszenierung, aber auch völlig überflüssige Video-Projektionen. Wenn die Kinder träumen und die Musik ebenfalls träumt, muss nicht noch eine weiße Film-Taube durch die Szene flattern. Und wenn im ersten Bild Hänsel und Gretel tanzen, um ihre Not zu vergessen, versteht man ihre Sehnsucht, auch ohne dass ein Ballsaal mit einem tanzenden Paar an die Wand geworfen wird.
Knusper, knusperKnäuschen
Die eigentliche Hauptrolle spielt in „Hänsel und Gretel“ das Orchester. Denn in dieser großartigen Partitur werden die verschiedenen Schichten der Handlung zwischen Volkston und Psychodrama zusammengeführt und interpretiert. GMD Florian Ludwig hat ein wunderbares Verständnis für Humperdincks Klänge, er verortet sie einerseits zauberhaft in der romantischen Walpurgis-Nacht-Tradition eines Felix Mendelssohn und zelebriert andererseits die polyphone Kunst des Komponisten mit einer gelungenen Mischung aus auftrumpfender Geste und filigranen Zwischentönen. Dabei macht er stets hörbar, wie der „Abendsegen“ das Rückgrat der ganzen Oper bildet. Die Hagener Philharmoniker klingen vom Schutzengelchoral des Beginns bis zum wilden Hexenritt einfach großartig.
Der Begriff Märchenoper täuscht insofern, als die innig-schlichten Lieder wie „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“, „Brüderchen, komm tanz mit mir“ und „Ein Männlein steht im Walde“ in das Klanggewebe eines wirklich großbesetzten Orchesters integriert sind. Die Gretel muss also mädchenhaft klingen und gleichzeitig über den Graben kommen. Sopranistin Maria Klier hat die strahlende Höhe und das unschuldige Timbre der Gretel, ihr fehlt es aber an Volumen. Mezzosopranistin Kristine Larissa Funkhauser ist ein Hänsel mit viel Schalk in der Stimme.
Dagmar Hesse singt die Mutter mit hochdramatischen Sopran-Akzenten als Frau, die durch Armut und Schmerzen über ihre Grenzen getrieben wird. Rolf A. Scheider ist ein fröhlich angetrunkener Besenbinder mit großem, beweglichen Bariton. Es ist gut, dass die meisten Besucher die Handlung kennen, denn bis auf Sandmännchen/Taumännchen Tanja Schun singt kein Sänger textverständlich.
Wieder: 2., 10., 17., 20., 26. 12. Karten: 02331 / 2073218 oder www.theater.hagen.de