Hagen. .

Den überraschenden Tarifabschluss für die nordwestdeutsche Stahlindustrie in der Nacht zu Dienstag haben Tarif- und Konjunkturexperten als „noch gerechtfertigt“ bezeichnet.

Die 3,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt lägen an der Untergrenze, wenn man nur die vergangenen zwei Jahre betrachte, in denen die Stahlindustrie prächtig verdient habe, sagte Tarif- und Konjunkturexperte Jörg Hinze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut unserer Zeitung. Gemessen an den eingetrübten Konjunktur-Aussichten seien sie dagegen „nicht mehr ganz gerechtfertigt.“ Ohne die negativen Aussichten wäre seiner Meinung nach „eine Vier vor dem Komma herausgekommen, mit Streiks vielleicht sogar eine Fünf.“

Unter dem Strich passt der Abschluss nach Hinzes Worten aber noch in die Konjunktur-Landschaft. In Krisenzeiten habe es sehr moderate Tarifeinigungen gegeben und gegenwärtig habe die Stahlindustrie noch gut zu tun. „Da wurde etwas nachgeholt.“

In der dritten Tarifrunde hatten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf 3,8 Prozent mehr Lohn für die 75 000 Beschäftigten der Branche in NRW, Niedersachsen und Bremen ab Dezember geeinigt. Darüber hinaus sollen Ausgebildete in der Regel unbefristet übernommen werden. Davon können die Arbeitgeber laut IG Metall nur bei einer Ausbildung über Bedarf oder bei akuten Beschäftigungsproblemen abweichen - mit Zustimmung des Betriebsrats. Der Vertrag zur Altersteilzeit wurde verlängert. Zusätzlich wurde eine Aufstockung des Arbeitgeberbeitrages zur Rentenversicherung von 95 auf 100 Prozent verabredet. Der Tarifvertrag gilt bis Februar 2013.

Oliver Burkhard, IG Metall-Bezirksleiter in NRW, sprach von einem Durchbruch. „Erstmals ist es gelungen, die unbefristete Übernahme zur Regel zu machen. Und der Abschluss beim Geld sichert unseren Mitgliedern ein echtes Plus.“ Und nach den Worten von IG-Metall-Chef Berthold Huber beteiligt das Ergebnis die Beschäftigten „fair am wirtschaftlichen Erfolg.“ Und die jüngeren hätten damit eine „sichere Zukunftsperspektive“. Der Arbeitgeberverband Stahl zeigte sich zurückhaltend. Ihm sei der Abschluss wegen der jüngsten Konjunkturprognosen und der Unwägbarkeiten infolge der Finanzkrise schwer gefallen, räumte der Vorsitzende Helmut Koch ein.

„Die Stahl-Arbeitgeber können den Abschluss tragen“, meint Konjunkturexperte Jörg Hinze. Deutschland werde mit einem kleinen Plus durch das nächste Jahr kommen - es sei denn, die Schuldenkrise eskaliere. „Aber davon geht niemand aus.“ Lob gab es für die IG Metall, und nicht nur für sie: „Die Gewerkschaften sind sehr kostenbewusst geworden. Daher haben wir eine bessere Beschäftigungsentwicklung als andere Länder.“

Die IG Metall hatte sieben Prozent mehr Lohn gefordert und ihre Mitglieder nach dem Scheitern der zweiten Tarifrunde Anfang November zu Warnstreiks aufgerufen. Die Tarifkommission Stahl will am 30.11. offiziell über die Annahme der Einigung entscheiden.