Hagen.

Wer mit Martinshorn und Blaulicht unterwegs ist, hat ein 17-fach erhöhtes Risiko auf einen schweren Unfall. Und an dem ist in zwei Drittel der Fälle der Fahrer des Einsatzwagens schuld. Damit sich das ändert, veranstaltet der Feuerwehrverband Hagen derzeit ein Fahrsimulationstraining.

Horst Wisotzki, Chef der Hagener Feuerwehr, nimmt im Feuerwehrgerätehaus Hohenlimburg als Erster im Sondersignalfahrt-Simulator Platz - und steuert direkt in den Straßengraben. „Das Lenkrad hat wenig Spiel.“ Dann gewöhnt er sich und fährt ruhig zum Unfallort. Aber er hat auch noch nicht mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. „Die erste Runde ist nur zum Eingewöhnen“, erklärt Harm-Dirk Stracke von der Feuerwehr Steinfurt. Die hat den Simulator 2009 angeschafft und vermietet ihn. Mitsamt Trainern. Einer davon ist Stracke.

Er beginnt mit Theorie. Die startet mit einer Fotoserie schwerer Unfälle, in die Polizei, Feuerwehr, DRK, ASB, THW etc. verwickelt waren. „Die zeige ich, damit ihr vielleicht zurückhaltender fahrt, als das Gesetz es erlaubt“, sagt Stracke. „Ihr wisst ja nie, was die anderen machen.“

§ 35 der Straßenverkehrsordnung („Sonderrechte“) erlaubt die Missachtung von Vorfahrts- und Geschwindigkeitsregelungen, von Ampeln und Einbahnstraßen - wenn eine dringliche Aufgabe zu erledigen ist. Was dringlich ist? „Zu einer Ölspur kann man auch ohne Blaulicht und Signal fahren“, meint Stracke. „Das Recht auf die Missachtung von Regeln muss restriktiv angewandt werden.“

Dann folgen praktische Tipps: Höchstens 70 km/h in der Stadt. Beim (langsamen!) Einfahren in eine Kreuzung Sichtkontakt aufnehmen - „Ihr müsst sicher sein, dass ihr gesehen werdet“. Dass die anderen Verkehrsteilnehmer eine Gasse bilden müssen, heißt nicht, dass sie es auch tun. „Wenn der Gruppenführer euch auffordert, das Martinshorn auszumachen, müsst ihr das nicht. Verantwortlich ist der Fahrer.“

Vor dem Gang zum Simulator noch eine Runde Statistik: Sondersignalfahrten bergen ein vierfaches Risiko auf einen Unfall mit Todesfolge und ein achtfaches auf einen mit Schwerverletzten. „Ich fahr nicht mehr“, sagt einer der Feuerwehrleute. Aber das ist nicht ernst gemeint.

Ernster wird es beim Praxisteil. Fußgänger laufen plötzlich über die Fahrbahn. Autos nehmen die Vorfahrt. Andere Einsatzfahrzeuge kreuzen. Die Gassenbildung funktioniert nicht. Die Überholsituation ist unklar. Hinter einem Lkw, der vor der grünen Ampel stehen geblieben ist, schießt plötzlich ein Pkw auf die Kreuzung, weil der Fahrer offenbar nichts gehört hat.

Das Ziel ist, den Fahrer zu überfordern. „Es geht ganz simpel darum, zum vorsichtigeren Fahren anzuhalten. Mit einer Rambo-Mentalität kommen wir nicht weiter“, sagt Stracke. Weil es mit Blaulicht zum Unfall oder Brand gehen soll und nicht mit Blaulicht in den Unfall.

„Wir haben in Hagen immer großes Glück gehabt“, sagt Christian Sommer, 2. Vorsitzender des Stadtfeuerwehrverbandes, „wir hatten keine schweren Unfälle“. Damit das so bleibt, hat der Verband das Geld des Bürgerpreises vom vergangenen Jahr ins Training von 96 Mitgliedern der Freilligen Feuerwehr und der Werksfeuerwehr Hoesch gesteckt. Weil man die Gefahr natürlich sieht: „Da sitzt ein Ehrenamtlicher von jetzt auf gleich im großen Fahrzeug. Es ist 3 Uhr nachts, der Fahrer steht unter Stress, weiß nicht, was ihn am Einsatzort erwartet, das Horn jault, und hinten nerven die Kameraden.“

Das ist ein Risiko. 2009 waren die 700 Einsatzfahrzeuge der Berliner Feuerwehr in 500 Unfälle verwickelt. Bei der Polizei in der Hauptstadt waren es 1048 Kollisionen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert deshalb seit langen mehr Training, auch im Simulator. Die Hagener Feuerwehr organisiert sich das selbst.