Balve. Franziska Wülle aus Balve moderiert die Pressekonferenzen der Herrennationalmannschaft. Bei der Heim-EM erwartet sie eine ganz besondere Aufgabe.
Beim Betreten des etwas in die Jahre gekommenen Vereinsheims der Spielgemeinschaft Balve/Garbeck heben sich die Mundwinkel von Franziska Wülle. Schon an der Tür riecht es förmlich nach Kreisliga: Ein Mix aus „hier wurde auch schon mal drinnen geraucht“ und „da hat jemand Bier in der Ecke verschüttet“ erobert die Nase in Windeseile. An der langen Wand: Fotos und Erinnerungen aus Jahrzehnten. Über der Theke: Pokale, auf denen feiner Staub liegt. Ein Ort, an dem man feiert, an dem man trauert. Die erste Herrenmannschaft der SG ist frisch abgestiegen. Nur ein Punkt aus 30 Spielen, Tordifferenz: minus 129. Die kleine Fußballbühne.
Sauerländerin wechselt die Fußball-Bühne
Garbeck ist die Heimat von Franziska Wülle (32). Sie ist auf der großen Fußballbühne angekommen: seit September 2022 ist sie Pressesprecherin der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft und damit für die Außendarstellung des in diesem Sommer prominentesten Teams im Land verantwortlich. Sie teilt sich ein Podium mit Bundestrainer Julian Nagelsmann und den deutschen Fußballstars, wenn sie durch die Pressekonferenzen führt. Jene Pressekonferenzen, die bei großen Turnieren eine ganze Nation in Wallung bringen können – gerade bei einem Turnier im eigenen Land wie der am Freitag beginnenden Europameisterschaft.
Franziska Wülle sitzt im Vereinsheim an einem Tisch mitten im Raum und lehnt sich zurück. Ihr Elternhaus ist nicht weit weg vom Sportplatz „Am Holloh“ im Balver Ortsteil Garbeck, wo sie an freien Wochenenden ihrem Bruder bei Kreisligaspielen zuschaut. Aber an freie Wochenenden ist derzeit nicht zu denken. Seit ein paar Tagen befindet sich Wülle mit der Nationalmannschaft im Team-Quartier in Herzogenaurach. Vorbereitung auf ein Heim-Turnier, das Spieler und Beteiligte meist nur einmal erleben. „Ich freue mich auf die Aufgabe und weiß um deren Besonderheit“, sagt sie: „Seit den Siegen im März gegen Frankreich und die Niederlande verspüren wir Vorfreude. Die Leute haben mehr Bock, die Jungs spielen zu sehen, und hoffen auf einen langen Turnierverbleib.“ Das gesamte Team wolle die Euphorie so lange wie möglich aufrechterhalten.
Pressekonferenz: Die Spieler „glänzen lassen“
Ihr Vor-Vorgänger Harald Stenger erlangte beträchtliche Bekanntheit, als er während des letzten Heim-Turniers, dem viel besungenen WM-Sommermärchen 2006, durch die live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenzen führte, die – je länger das Turnier dauert – die Bedeutung von Staatsakten haben können: Kann Kroos spielen? Was ist mit Gündogan? Schießt Müller mal ein EM-Tor? „Die Fußballnationalmannschaft ist die Mannschaft in Deutschland und hat in diesem Land eine hohe Bedeutung“, sagt die Pressesprecherin der Nationalmannschaft. „Mein Job ist es, die Jungs glänzen zu lassen und eine gute und angenehme Atmosphäre zu schaffen. Pressekonferenzen können auch mal locker sein.“ Bei der ersten Moderation im September 2022 habe ihre Stimme noch ein wenig gezittert, das sei aber nach wenigen Momenten verflogen gewesen.
„Nach der Bekanntgabe meines neuen Jobs gab es natürlich einige Gespräche auf dem Schützenfest darüber“, erinnert sich die 32-Jährige an den Sommer vor zwei Jahren zurück. Dass sie im Bereich Sportjournalismus landen würde, wusste sie schon, als sie noch klein war. „Meine Familie und ich haben schon immer gerne Wintersport und die olympischen Winterspiele verfolgt. Als Kind wollte ich immer am Rand stehen und die Sportlerinnen und Sportler interviewen“, sagt die gebürtige Sauerländerin. Mit 13 Jahren stand sie sicher auf ihren Skiern und ist jedes Jahr im Winter im Sauerland auf die Pisten gegangen.
Jetzt ist sie Pressesprecherin der Nationalmannschaft – die erste übrigens. „Die erste Frau in dem Job zu sein, war für mich persönlich nie wirklich ein großes Thema. Ich bin eingestellt worden, damit hier etwas anders gemacht wird“, sagt Franziska Wülle, die nach dem Master-Studium Journalistik beim WDR anfing: Bei Großveranstaltungen wie der EM 2021 und den olympischen Winterspielen in Peking war sie als Chefin vom Dienst für die ARD-Sportschau im Einsatz. Ihr Chef: Steffen Simon. Als der im Frühjahr 2022 als Mediendirektor zum DFB wechselte, schlug er Franziska Wülle als Pressesprecherin vor, als der Posten vakant wurde.
Ein ungewöhnlicher Auftakt mit Oliver Bierhoff
„Ich war auf dem Weg zu meinen Eltern ins Sauerland, als die Einladung zum Gespräch ankam. Am nächsten Tag habe ich aus dem Kinderzimmer meiner kleinen Schwester aus mit Oliver Bierhoff gesprochen“, erinnert sich Wülle an den Tag vor gut zwei Jahren zurück. Bierhoff war damals beim DFB Direktor Nationalmannschaft. Ihre Eltern und Geschwister warteten nebenan voller Spannung auf sie. „Nach ein paar Tagen wurde ich für ein weiteres Gespräch nach Frankfurt am Main eingeladen. Dabei hatte ich zunächst kein so gutes Gefühl“, sagt Franziska Wülle.
Oliver Bierhoff und sie seien bei einigen Punkten nicht einer Meinung gewesen. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass es ihn beeindruckt hat, wie die Balverin ihre eigenen Ansichten vertreten hat. Wülle erzählt, dass sie den damaligen Bundestrainer Hansi Flick bei einem Mittagessen in Berlin von sich überzeugte und kennengelernt hat. „Es ist mir unfassbar schwergefallen, beim WDR aufzuhören, denn ich habe mich sehr wohlgefühlt. Ich wollte aber die Emotionen live am Rasen miterleben und die Chance nutzen, einen Job zu machen, den man nicht alle Tage angeboten bekommt“, sagt Wülle: „Ich bin der neuen Aufgabe mit sehr großem Respekt begegnet.“
Nach Katar folgt eine „freudigere Aufgabe“
Sie begann keine drei Monate vor dem Beginn der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar. Ein Turnier, das von politischen Fragen völlig überlagert wurde. „Wir haben im Vorfeld schon gemerkt, dass etwas auf diesem Turnier liegt. Man hat das Land nicht mitfiebern sehen. Es fühlte sich teilweise so an, als würde die Mannschaft das Turnier alleine bestreiten“, erinnert sich die 32-Jährige an den Winter 2022 zurück. Der schwierigen Aufgabe zu Beginn ihrer Karriere beim DFB folgt in wenigen Tagen eine, wie sie sagt, „freudigere Aufgabe“. Bei der Heim-EM sind alle Kameras auf Julian Nagelsmann und seinen Kader gerichtet. Im Vergleich zu Katar sei es dieses Mal leichter, da dort mehr politische Themen im Fokus gestanden haben.
„Ein Klassiker sind Fragen rund um Transfergerüchte, bei denen ich dann irgendwann eingreife, wenn sie überhandnehmen und manchmal hofft man, dass ein Spieler nichts Unüberlegtes sagt. Dann muss das Briefing beim nächsten Mal besser sein“, sagt die Sauerländerin mit einem breiten Schmunzeln. Von ihrem Quartier aus in Herzogenaurach wird alles gemanagt. Auf die Frage, wie weit die Deutsche Mannschaft letztendlich kommt, antwortet sie diplomatisch: „Wenn alles gut läuft, komme ich erst Mitte Juli wieder nach Hause ins Sauerland.“
Übertragung der DFB-Pressekonferenzen
In täglichen Pressekonferenzen stellen sich Bundestrainer Julian Nagelsmann und ausgewählte Spieler den Fragen von Journalistinnen und Journalisten im bayrischen Herzogenaurach oder vom Spielort aus. Auf der YouTube-Seite (youtube.com/@DFB/streams) und der Internetseite des DFB (tv.dfb.de/static/livestreams/) sowie der ARD-Sportschau (sportschau.de) werden die Pressekonferenzen der Deutschen Nationalmannschaft live und kostenlos gestreamt und sind im Nachinein abrufbar. Sky Sport zeigt ebenfalls ausgewählte Pressekonferenzen live im kostenlosen Stream auf skysport.de.