Hagen. Strenger Frost hat Südwestfalen im Griff. Im Winterberger Skigebiet kommt es zu einer Premiere und auf Baustellen zu Einschränkungen.
Karolina Ruhl schüttelt freundlich den Kopf, als der Kunde einen Cappuccino ordert. „Ich kann Ihnen nur einen Filterkaffee anbieten, die Maschine funktioniert nicht, die Wasserleitungen sind eingefroren“, sagt die Mitarbeiterin der Bäckerei Kamp in Hagen-Dahl und deutet auf den modernen Automaten, dessen Display schwarz bleibt. Der Discounter, in dem die Filiale ihren Sitz hat, verfügt am Mittwochvormittag ebenfalls nicht über Wasser. Das ist absurd genug, denn das Geschäftsensemble ist erst im Dezember neueröffnet worden. Das Hochwasser der nahegelegenen Volme hatte das Gebäude im Sommer 2021 völlig ruiniert.
Erst zuviel Wasser, jetzt zu wenig. Oder anders gesagt: Das Wetter wird immer extremer. Und das hat Folgen.
Was passiert, wenn die Bäckerei nicht backen kann?
„Als ich um 5.30 Uhr kam, wollte ich wie immer als erstes die Brötchen backen – doch dabei wird im Ofen Wasserdampf benötigt“, sagt Karolina Ruhl. „Dann habe ich den Wasserhahn anstellen wollen – und als da auch nichts kam, dachte ich mir: die Leitungen sind bestimmt eingefroren.“ Keine Brötchen, kein Kaffee - zunächst. „Wir sind Handwerker, wir wissen uns zu helfen“, sagt Chefin Stefanie Kamp. „Wir haben die Filiale in Dahl mit einer klassischen Kaffeemaschine, einem Glühweinkessel mit heißem Wasser und jeder Menge Wasser auch zum Händewaschen ausgestattet. Die Kollegen in anderen Filialen backen heute mehr Brötchen, die die Fahrer dann nach Dahl bringen.“
Offenbar ist eine Hauptleitung, die vom Parkplatz abgeht, das Problem. Ein Trupp des örtlichen Versorgers betreibt am Vormittag schon Ursachenforschung - und wirft eine Heißluftpistole an, die mehr als 500 Grad produziert, um das Problem zu beheben. „Schlecht isoliert“, sagt einer. Um 13 Uhr fließt das Wasser wieder.
Wie ist die Wetterprognose für die kommenden Tage?
Ja, gewiss, es ist Winter. Aber die eisige Kälte der vergangenen und kommenden Tage ist durchaus keine Gewöhnlichkeit, wie dieses Beispiel zeigt. Nächte mit bisweilen Temperaturen im zweistelligen Minusbereich liegen hinter Südwestfalen. In der Nacht zu Donnerstag wird es in den Höhen des Sauerlandes wieder bis zu minus 12 Grad kalt sein, sagt Kea Bunjes, Meteorologin vom Dienst beim Deutschen Wetterdienst in Essen.
In der Nacht zu Freitag bis minus 7 Grad. Am Tag dichtere Wolken. Niederschlag möglich, als Schneegriesel im Bergland. Höchsttemperaturen im Flachland: ein bis drei Grad. Und in der kommenden Woche? „Das ist noch nicht genau abzusehen“, sagt Frau Bunjes, die Luftmasse, die auf dem Weg zu uns sei, „ist polaren Ursprungs“. Möglich also, dass es knackig kalt bleibt. Und dass das weitere Probleme bereitet.
Warum rechnet der Installateur mit vielen Notdiensteinsätzen am Wochenende?
Unweit der gefrorenen Rohre hat Dirk Krebs seinen Meisterbetrieb für Heizung, Sanitär und Klimatechnik. Am Morgen um kurz nach sechs Uhr war er schon auf dem Friedhof in Dahl, weil dort ebenfalls Rohre eingefroren waren. „Oft wird vergessen, Wasserleitungen draußen abzusperren und zu entleeren“, sagt er. Bei Temperaturen wie jetzt räche sich das schnell.
Hausbesitzer, die das vergessen haben und meinen, bisher glimpflich davongekommen zu sein, warnt er aber. „Ich habe gerade schon den Mitarbeiter beglückwünscht, der am Wochenende bei uns Notdienst hat“, sagt Krebs. „Das wahre Problem droht erst gegen Ende der Woche, weil sich das Wasser auch ausdehnt, wenn es auftaut.“ Anomalie des Wassers, sagt er. Wenn man also am Wochenende im Hauswirtschaftsraum das Wasser laufen höre, obwohl eigentlich keins verbraucht wird, „sollte man sich Gedanken machen“. Tipp vom Profi noch: Erwärmt sich das Wasser langsam, ist das deutlich schonender fürs Material. „Also: Nicht mit der Gasflamme rangehen“, sagt Krebs.
Was tun, wenn mein Auto eingefroren ist?
Udo Bittner hat gar keine Zeit. Er ist allein in seiner AutoFit-Werkstatt in Eslohe-Wenholthausen - und zwei Kunden stehen schon wieder Schlange. Batterien, die aufgeben, eingefrorene Schlösser, Türen und Dieselfilter - hat er alles heute schon da gehabt, sagt er. Die Kälte setzt den Autos zu und sorgt für vermehrten Betrieb.
Was der Experte rät, um diese Ärgernisse zu vermeiden? „Türschlosser können mit Enteiser befreit werden. Türgriffe sollten durch vorheriges Ölen vor dem Festfrieren bewahrt werden. Um das Gefrieren der Türen zu verhindern, sollten die Gummis mit Hirschtalgfett bearbeitet werden“, sagt Bittner. Und wenn die Scheiben von innen gefrieren? „Das spricht für falsche Belüftung - oder Wasser ist in der regenreichen vergangenen Wochen ins Innere eingetreten.“
Wie geht es auf den Baustellen an der A45 weiter?
Von der klirrenden Kälte derzeit sind „hauptsächlich Gewerke aus dem Baubereich betroffen“, sagt Ulrich Dröge, Abteilungsleiter Betriebsberatung in der Handwerkskammer Südwestfalen. Dazu gehörten Maurer, Straßen- und Tiefbauer sowie Dachdecker oder Zimmerer. Eine der bekanntesten Baustellen Deutschlands liegt in Lüdenscheid, wo die Autobahn 45 gesperrt ist, weil die Rahmedetalbrücke neu gebaut werden muss.
Erdarbeiten, so heißt es von der Autobahn GmbH Westfalen auf Nachfrage, wie das Anlegen der Baustraßen oder Ausschachtungsarbeiten könnten auch bei Frost erledigt werden. „Die sehr nassen Wochen bis zum Jahreswechsel waren da problematischer. Die Arbeiten liegen aber dennoch im Zeitplan.“ Erste Gründungspfähle seien bereits erstellt. Gleichzeitig habe im Werk die Herstellung erster Stahlteile für den Brückenüberbau begonnen.
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„Schwieriger wird es vor allem bei starkem Frost für die Betonarbeiten, die zum Beispiel an der Talbrücke Sterbecke seit einigen Wochen bereits intensiv laufen“, räumt die Autobahn GmbH ein. Die eine Hälfte des Bauwerks auf Hagener Stadtgebiet war im vergangenen Mai gesprengt worden. Nun werden dort neue Pfeiler in die Höhe gezogen. „Beton entwickelt beim Aushärten Wärme und kann darum auch bei leichtem Frost verarbeitet werden. Stärkerer und dauerhafter Frost macht das Betonieren aber schwieriger“, erklärt die Autobahn GmbH. Dennoch: Auch bei der Talbrücke Sterbecke lägen die Arbeiten im Plan.
Was bedeutet der Frost für die Landwirtschaft?
Grundsätzlich sei die Landwirtschaft – insbesondere der Ackerbau - vom Frost abhängig, heißt es vom Westfälischen Landwirtschaftsverband (WLV). „Viele unserer Kulturen sind auf einen Kältereiz für den späteren Ertrag angewiesen.“ Länger anhaltende tiefe Temperaturen verbesserten die Sauerstoff- und Wasserversorgung im Boden. „Bedingung hierfür ist allerdings eine rasche Wasserabführung, woraus die aktuellen Probleme entstehen“, heißt es. Denn: Viele Gebiete seien durch die massiven Niederschlagsmengen und dem Übertreten der Flussufer mit Oberflächenwasser behaftet. So werde das lockere Bodengefüge, das durch den Frost entstehe, „durch das Wasser weitgehend vernichtet“. Teils sei das ausgebrachte Getreide nicht aufgegangen – viele aufgegangene Flächen stürben aufgrund von zu wenig Sauerstoff im Boden ab.
Warum der Frost zu einer Premiere im Skigebiet führt?
Aber es gibt ja auch positive Folgen der Kälte - sichtbar in Winterberg und den umliegenden Skigebieten. Der Dauerfrost macht möglich, die Pisten rund um die Uhr künstlich zu beschneien. Das passiert seit dem vergangenen Sonntag, um eine 30 Zentimeter dicke Schicht zu erzeugen, auf der in den kommenden Tagen gefahren werden kann. „Ab spätestens Samstag werden so gut wie allen Lifte an beschneiten Pisten geöffnet haben“, stellt Susanne Schulten von der Wintersportarena Sauerland in Aussicht.
Zudem wird erstmals in diesem Winter am kommenden Freitag Skifahren unter Flutlicht möglich sein. Am Wochenende soll dann auch erstmals der vier Millionen Euro teure und für diese Saison neu gebaute Sessellift in Altastenberg am Kapellenhang zum Einsatz kommen. Premiere. „Eine familienfreundliche Abfahrt mit tollem Panorama“, sagt Schulten, die hofft, dass der Frost auch in der kommenden Woche noch anhält. „Aber die Sicherheit haben wir noch nicht.“