Hallenberg. In Umfragen stürzt die FDP ab. In der „Dorfstadt“ Hallenberg sorgt sie für eine Rarität. Zu Besuch bei Bürgermeister Enrico Eppner.

Der Bürgermeister schreitet also mit der Flasche Landbier unterm Arm durch die Stadt, große Ein-Liter-Pulle, am hellichten Tag. „Das ist jetzt natürlich schlecht“, sagt Enrico Eppner. Jeder kennt ihn hier. Wie das so ist in einer „Dorfstadt“ wie Hallenberg, 4500 Einwohner.

Was den Bürgermeister der zweitkleinsten Stadt in Nordrhein-Westfalen besorgt, stört ansonsten aber niemand. Autofahrer winken im Vorbeifahren, Passanten grüßen freundlich, man duzt sich.

Über etwas anderes regen sich hingegen manche auf: Hier, wo die CDU Wahlergebnisse einzufahren pflegte, von denen sogar die CSU in Bayern nur träumen konnte, regiert seit gut drei Jahren ein Youngster von der FDP. Fast 65 Prozent der Stimmen holte Enrico Eppner bei der Kommunalwahl 2020, seine Partei gut 46 Prozent und damit nahezu so viel wie die abgestürzte CDU.

Dazu ist Eppner (37) ein Verwaltungs-Neuling. Als „teuerster Lehrling der Stadt“ sei er anfangs verspottet worden. Habe er über den Flurfunk erfahren, erzählt er. Bei einer Ratssitzung wurde der junge Bürgermeister vom CDU-Fraktionschef mal angeblafft: „Willst du mich verarschen?“

Im Biotop Hallenberg hat sich eine Gemengelage ergeben, die auch deshalb so speziell ist, weil es da ja noch die Darbietungen der Ampelkoalition in Berlin gibt. Die drohen der FDP, Eppners Partei, im Bund zum Verhängnis zu werden. An der Grenze zwischen NRW und Hessen kommt nun all das zusammen.

Er nimmt auch Trauungen vor: Hallenbergs FDP-Bürgermeister Enrico Eppner.
Er nimmt auch Trauungen vor: Hallenbergs FDP-Bürgermeister Enrico Eppner. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Liebeshochzeiten nur in Hallenberg

Enrico Eppner sitzt im ersten Stock eines der für Hallenberg typischen Fachwerkhäuser, in dem auch das Stadtarchiv sowie ein Trauzimmer untergebracht sind. Dank einer Fortbildung dürfe er Trauungen vornehmen, mehr als fünfzehn seien es bisher. Noch habe sich keiner wieder scheiden lassen. Eine Trennung empfiehlt er auch seiner Partei im rot-grün-gelben Dreierbündnis in Berlin nicht, sagt Eppner.

Der Hochzeits-Exkurs ist nicht unwichtig, denn angesprochen auf die wankende Bundesregierung und die schlechten Umfragewerte für seine Partei bemerkt der Bürgermeister, dass die Ampel eine Zweckehe sei. „Liebeshochzeiten“, sagt Eppner, „mache ich hier in Hallenberg.“

Das war nicht so dahergesagt. Der 37-Jährige überlegt sich, was ankommt.

Hauptsache einer von ihnen

Bevor er in seiner Heimatstadt hauptamtlicher Bürgermeister wurde, hat er für eine Berleburger Firma in der strategischen Vertriebsentwicklung gearbeitet, hatte regelmäßig im Ausland zu tun, überzeugte Kunden. Über die Lage der FDP im Bund und mögliche Auswirkungen auf seine Situation in Hallenberg sagt der einzige FDP-Bürgermeister in der Region (siehe Infobox): „Ich schäme mich nicht für meine Parteizugehörigkeit. Aber ich bin nicht der Bürgermeister einer Partei, sondern der Bürgermeister der Stadt Hallenberg.“

Nur fünf FDP-Bürgermeister

Enrico Eppner ist einer von derzeit nur fünf FDP-Bürgermeistern unter 373 Oberhäuptern der kreisangehörigen Kommunen in NRW. Das geht aus einer Liste des Städte- und Gemeindebundes NRW hervor. Neben Hallenberg stehen Freie Demokraten auch in Hürtgenwald (Kreis Düren), Kaarst (Rhein-Kreis Neuss), Steinfurt (Kreis Steinfurt) und Stemwede (Kreis Minden-Lübbecke) an der Verwaltungsspitze. Enrico Eppner ist das einzige FDP-Stadtoberhaupt in der Region. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt der 37-Jährige.

Er versteht sich als „Servicedienstleister“ für die Bürger, gibt sich bodenständig, auch smart. Er benutzt englische Begriffe, etwa Cocooning (gesellschaftlicher Trend, sich ins Privatleben zurückzuziehen). Born and raised – geboren und aufgewachsen – sei er in Hallenberg. Er ist in Feuerwehr, Schützenverein und bei den Jagdhornbläsern aktiv, war wie Urgroßvater, Opa und Vater Schützenkönig. Der dreifache Familienvater hat mit seiner Frau in Hallenberg ein neues Haus gebaut, im Stil angelehnt an die historischen Bauten der Altstadt. Eppner ist rumgekommen, aber einer von ihnen. Nicht zuletzt darauf kommt es an.

Bei der Kommunalwahl 2020 distanzierte Eppner den CDU-Kandidaten Matthias Stappert – der jahrelang in Hallenberg im Rathaus gearbeitet hatte und Erfahrung als Bürgermeister im hessischen Vöhl am Edersee vorweisen konnte. Nur: Stappert kommt nicht aus Hallenberg (sondern aus Olsberg). Fragt man den Hallenberger CDU-Fraktionschef Joachim Huft, welche Lehren er aus der Niederlage vor gut drei Jahren zieht, antwortet er: „Der Kandidat muss ein Hallenberger sein, vielleicht muss er auch Schützenkönig gewesen sein.“

Kommunalwahlen sind oft Personenwahlen. Die CDU verlor 2020 aber auch bei der Ratswahl Stimmen, büßte 28,1 Prozent ein. Die neue Situation war gewöhnungsbedürftig für die Christdemokraten, wie auch Huft einräumt.

Ich schäme mich nicht für meine Parteizugehörigkeit. Aber ich bin nicht der Bürgermeister einer Partei, sondern der Bürgermeister der Stadt Hallenberg.
Enrico Eppner, FDP-Bürgermeister von Hallenberg

CDU wird nun auch mal überstimmt

Früher hatten sie das alleinige Sagen, im Rathaus saß 26 Jahre lang CDU-Statthalter Michael Kronauge. Nun muss sich die CDU im Stadtrat, in dem zudem ein Vertreter der Partei Bürger für Hallenberg (BfH) vertreten ist, auch mal überstimmen lassen. Etwa im Oktober 2022, beim Beschluss, unter gewissen Bedingungen Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Fachwerkhäuser in der Altstadt zuzulassen. Da spielte die Bundespolitik dann – zumindest rhetorisch – doch mal eine Rolle.

CDU-Fraktionschef Huft fühlte sich anlässlich einiger Aussagen von Eppner an die Ampelkoalition erinnert, „wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, jeden Tag etwas Neues“, kritisierte er. Als es dann um den Bau eines Multifunktionsgebäudes auf einem Sportplatz und die noch nicht vorliegende Baugenehmigung ging, fühlte sich der CDU-Fraktionschef verar...

Sehenswerter Stadtkern: die Altstadt von Hallenberg mit ihren Fachwerkhäusern.
Sehenswerter Stadtkern: die Altstadt von Hallenberg mit ihren Fachwerkhäusern. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Für diese „Sauerländer Umgangssprache“ (Huft) habe er sich bei Eppner entschuldigt. Man arbeite inzwischen „recht gut zusammen“. Der junge Bürgermeister lerne schnell. Andere Aussagen verstärken allerdings den Eindruck, als fremdele Huft nach wie vor mit den neuen Verhältnissen. Etwa über den von Eppner 2018 mitgegründeten FDP-Ortsverband.

„Am Anfang war es ein bisschen schwierig mit denen. Die haben eine gewisse Profilneurose an den Tag gelegt. Die haben vieles infrage gestellt, aber ihnen fehlte die Erfahrung.“

„Da ist irgendwann mal einer gekommen und hat sich gesagt: ‚Lass uns die FDP gründen, weil die CDU so dominant ist, wir müssen mal irgendwas ändern‘. Nur: Geändert hat sich nichts. Die ganzen Beschlüsse, über die wir hier abstimmen, sind zu 96, 97 Prozent einstimmig. Das kann man nicht mit dem Bund vergleichen.“ Außerdem seien die FDP-Vertreter im Stadtrat Kinder CDU-geprägter Eltern.

Am Anfang war es ein bisschen schwierig mit denen. Die haben eine gewisse Profilneurose an den Tag gelegt.
Joachim Huft, CDU-Fraktionschef in Hallenberg, über Eppner und die FDP

Zwei Damen sehen eine „Protestwahl der jungen Leute“

Enrico Eppner beschreibt sich als Realist mit konservativer Prägung. Wie CDU-Fraktionschef Huft sagt auch er, dass die große (Partei-)Politik in Berlin oder Düsseldorf im kleinen Hallenberg keine große Rolle spiele. Es herrsche ein kollegiales Miteinander. Außerdem: „Wenn ein Bürgersteig kaputt ist, muss er repariert werden. Da ist es egal, von welcher Partei der Bürgermeister ist.“

Kaputte Bürgersteige sind in der Hallenberger Altstadt nicht zu entdecken. Dafür stutzt Franz Burger, ein älterer Herr, vor seinem Haus einen Strauch. Der Bürgermeister sei „ein patenter Kerl“. Und die Parteizugehörigkeit? „Wenn der Mann gut ist, ist das Parteibuch egal“, sagt er. Michael Schindler ergänzt, Eppner sei in der CDU-Hochburg „mal was Neues“. Zudem setze sich der Bürgermeister für Familien ein. In der kleinen lokalen Brauerei, in der Eppner beim Besuch mit der Flasche Landbier bedacht wurde, beschreiben sie das Stadtoberhaupt als nahbar. Mitarbeiterin Resi Brieden findet: „Neue Besen kehren gut“.

Zwei andere Damen hingegen fanden den Vorgänger-Besen besser.

Sie möchten ihre Namen nicht nennen, auch nicht ihr genaues Alter. Bürgermeister Eppner sei „nicht der Burner“. Der müsse mehr auf die Menschen zugehen, kümmere sich zu sehr um seine Leute. Und Eppners Wahl zum Stadtoberhaupt? „Das war eine Protestwahl der jungen Leute“, sagt das ältere Duo – das dann durch einen Zwischenruf von der anderen Straßenseite unterbrochen wird.

„Ihr sollt nicht so viel lügen“, ruft einer.

Man kennt sich hier in der Dorfstadt.